Es fehlt an Pflegefamilienplätzen. Ein Grund sind die hohen Mieten im Kanton Zug, sagt Olaf Stähli, Geschäftsführer der Fachstelle Team-Werk. Im Interview erklärt er, warum es schwierig ist, geeignete Familien zu finden.
Olaf Stähli, Sie arbeiten vom Kanton Zug aus. Gerade hier fehlen Pflegefamilienplätze. Warum?
Oft nehmen Pflegefamilien ein Kind längerfristig auf und sind somit besetzt. Die Pflegefamilien sind viele Jahre später, wenn das Pflegekind als junger Erwachsener seinen eigenen Weg geht, dann selber auch in einer neuen Lebensphase. Manche bieten dann noch einen Krisenplatz an, viele hören aber auch auf. Zudem vermute ich, dass im Kanton Zug der teure Wohnraum ein Nachteil ist. So muss in einem Haushalt ein extra Zimmer für das Pflegekind zur Verfügung stehen.
In welchen schwierigen Lebensverhältnissen befinden sich die Jugendlichen?
Wir werden oft bei komplexen oder anspruchsvollen Problematiken angefragt. Ich zögere, Beispiele zu nennen, weil jeder Jugendliche, jedes Kind, eine ganz persönliche Lebens- und Leidensgeschichte mit sich trägt. Manche Jugendlichen haben «nur» eine ausgeprägtere Pubertät als üblich, was zu Problemen in der Schule oder mit dem Gesetz führen kann. Viele kommen aber aus zerrütteten Verhältnissen oder haben schlimmste seelische und körperliche Verletzungen erlebt. Da gibt es Y., die als Kind mehrfach und über längere Zeit missbraucht wurde. Da gibt es S., der mit 13 Jahren schon in mehreren Heimen und Pflegefamilien war und nie eine liebende Mutter erlebte. Da gibt es M., die Jahre lang als Strassenkind in Südamerika lebte, bis sie zu ihrer Mutter in die Schweiz ziehen konnte und sich dann mit dem Stiefvater und der Schweizer Kultur so gar nicht zurechtfand.
Das hört sich schlimm an.
Leider sind diese jungen Menschen in unserer Gesellschaft oft doppelt bestraft. Einerseits hatten sie das Pech, dass ihnen viel Leid zugefügt wurde, andererseits führt solches Leid unweigerliche zu sozialen und psychischen Auffälligkeiten. Als Jugendliche werden sie nun von der Gesellschaft für ihr Verhalten geächtet.
Welche Kriterien muss eine Pflegefamilie erfüllen?
Es versteht sich von selbst, dass Pflege- und Gastfamilien ein grosses Herz und Verständnis brauchen, damit sie in der Lage sind, auch diesen jungen Menschen Zugneigung und Wohlwollen entgegenzubringen. Wir arbeiten derzeit mit zirka 50 Pflegefamilien zusammen. Diese durchlaufen eine vertiefte Abklärung, die etwa das Einholen von Strafregisterauszügen und Referenzen beinhaltet, aber vor allem die Persönlichkeiten und Familiendynamik erfasst. Durch die Abklärung zeigt sich nicht nur, ob eine interessierte Familie sich als Pflegefamilie, sondern auch für welche Kinder und Jugendlichen sie sich eignet.
Was meinen Sie damit?
Es sind unterschiedliche Anforderungen, ob man beispielsweise ein kleineres Kind längerfristig oder Jugendliche in Krisen für befristete Zeit in der Familie aufnimmt. Eine weitere wichtige Anforderung ist die Bereitschaft, Weiterbildungen zu besuchen. Neben unserer Abklärung findet auch noch ein Besuch der Kesb statt, welche unabhängig die Eignung überprüft und die nötige Bewilligung ausstellt.
Welche Aufgaben übernehmen die Pflegefamilien dann?
Wir unterscheiden zwischen einer Pflegefamilie und einer Gastfamilie. Bei langfristigen Platzierungen wird das Pflegekind zu einem selbstverständlichen Mitglied der Familie, und die Pflegefamilie übernimmt in der Regel in fast allen Bereichen elterliche Aufgaben. Wir arbeiten auch intensiv mit den leiblichen Eltern des Pflegekindes zusammen. Bei Platzierungen von wenigen Wochen bis wenigen Monaten konzentriert sich die Aufgabe der Gastfamilie auf den familiären Rahmen. Der Aufenthalt von Jugendlichen in Gastfamilien dauert wenige Wochen bis wenige Monate. Die Familien erhalten je nach Erfahrungs-, Weiterbildungs- und Ausbildungsstand eine Entschädigung zwischen 80 und 110 Franken am Tag – inklusive Kost und Logis.
In welchem Alter sind die Kinder und Jugendlichen?
Das jüngste bei uns platzierte Kind war beim Eintritt drei Jahre alt. Das älteste ist 17 Jahre. Bei den Jugendlichen sind die meisten zwischen 13 und 16 Jahre alt. Früher hatten wir mehr Knaben. Heute gibts gleich viele Mädchen.
Was passiert, wenn Jugendliche und Pflegefamilien nicht miteinander klarkommen?
Unsere Sozialpädagogen sind in der Regel wöchentlich in den Pflege- und Gastfamilien. So können wir viele der schwierigen Situationen zusammen angehen und finden oft Lösungen. Aber manchmal zeigt sich, dass es nicht der richtige Rahmen ist. Dann kann es sein, dass der Jugendliche in eine andere Gastfamilie, in ein Heim oder in eine begleitete Wohngruppe wechselt.
Was sind die Hauptprobleme der Jugendlichen?
Für die gesunde Entwicklung eines jungen Menschen braucht es eine bedeutende, tragfähige Beziehung. Einerseits sehnen sich unsere Jugendlichen nach einer solchen Beziehung, andererseits erschwert ihr Verhalten, das oft von Regelbrüchen und Grenzüberschreitungen geprägt ist, solche Beziehungen.
Was heisst das genau?
Wenn ein Jugendlicher wiederholt Geld von den Pflegeeltern klaut, immer wieder frech wird oder dreist lügt, braucht es Austausch und Unterstützung auf der Erwachsenenebene, um diese Verhaltensweisen im Lichte der tragischen Geschichte zu sehen. Man weiss heute, dass eine nachhaltige Entwicklung mit Strenge und Strafen allein nicht hinzukriegen ist. Wir müssen den jungen Menschen auch das geben, was sie zuvor nicht oder zu wenig bekommen haben und was wir alle brauchen, jemanden der uns mag – so, wie wir sind. Dann ist auch eine Veränderung möglich.
Hinweis
Weitere Infos finden Sie unter: www.team-werk.ch
Interview Wolfgang Holz