ZUG: Der wilde Gesell von Zug

Er ist behaart, nackt und schwingt eine Keule: Beim Kerl mit der ungebändigten Mähne in einem Relief an der Neugasse handelt es sich um eine populäre Figur aus alter Zeit.

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Das Haus «Zum wilden Mann» in der Zuger Altstadt ist nach dem Relief über dem Eingang benannt. (Bild: Stefan Kaiser / Neue ZZ)

Das Haus «Zum wilden Mann» in der Zuger Altstadt ist nach dem Relief über dem Eingang benannt. (Bild: Stefan Kaiser / Neue ZZ)

In der Ausgabe vom 1. April berichtete Kunsthistorikerin Brigitte Moser an dieser Stelle von der Fassadenmalerei am Haus Neugasse 26. «Zum wilden Mann» nennt sich das spätmittelalterliche Gebäude. Und wie die Autorin anmerkte, bezieht sich die Bezeichnung auf das bemerkenswerte Relief aus dem Jahre 1489 über dem spitzbogigen Eingangsportal. Dieses Relief schauen wir uns hiermit etwas genauer an. Der «Wilde Mann» ist ein Produkt germanischen Volksglaubens des Mittelalters. Ähnlich wie man sich heutzutage einen Yeti im Himalaya oder Bigfoot in den USA vorstellt, war der «Wilde Mann» auf den ersten Blick eine Art Mischwesen von Mensch und Tier, galt aber eindeutig als Mensch. Er war gross, besass übernatürliche Körperkraft, war rundum stark behaart bis auf Hände und Füsse, trug eine wilde Mähne, einen langen Bart und war meist unbekleidet oder hielt einzig die Scham bedeckt. Er hauste bevorzugt in rauen Berggegenden oder dunklen Wäldern.

Hierzulande galt der «Wilde Mann» etwa als Allegorie der Kräfte von Mutter Natur, gegenüber denen die Bevölkerung machtlos war. Oder er stand auch für das Ungezähmte im Menschen, niedrige Gelüste und lasterhaftes Leben, fern jeglicher Tugenden. Die legendäre Figur diente als Namensgeber zahlloser Flurstücke, Berge, Gebäude und Gaststätten. Zu Letzteren gehört etwa das Gasthaus Wildenmann in Buonas.

Alte Darstellungen des Luzerner Standeswappens etwa am inneren Weggistor – zeigen dieses, wie es von zwei wilden Männern getragen wird. In dieser Position wirken die Figuren als so genannte Schildhalter respektive Wappenknechte. Dies war in alter Zeit besonders verbreitet. Sie erscheinen in dieser Funktion so wie vorhin beschrieben, schwingen aber meist eine Keule, sind in gehender Position dargestellt und werden erdfarben gehalten. Der «Wilde Mann» im Relief an der Zuger Neugasse macht einen eher zahmen und friedfertigen Eindruck. Er hält ein Wappen, dessen Aussage sich einem nicht erschliesst. Es könnte angesichts der plastischen Eigenschaften das Wappen von Luzern darstellen, heute ohne die blaue Farbe. Oder aber es bezieht sich auf den Erbauer des Hauses. Die drei balkenartigen Elemente im Schild erscheinen wie später hinzugekommene «Fremdkörper». Offensichtlich ist das Relief auf Höhe des Wappenschildes entzweigebrochen. Die Inschrift auf dem Rahmen lautet sinngemäss in etwa «Dieses Haus liegt in Gottes Hand, nach dem wilden Mann ist es benannt.»

Andreas Fässler

Hinweis

Mit «Hingeschaut!» gehen wir wöchentlich mehr oder weniger auffälligen Details mit kulturellem Hintergrund im Kanton Zug nach.