Meine Laufschuhe begleiten mich tagtäglich auf der morgendlichen Runde.
4 Uhr morgens. Während ein Grossteil meiner Nachbarschaft noch schläft, stehe ich vor der ersten wichtigen Entscheidung des Tages: In welche Laufschuhe schlüpfe ich für die morgendliche 20-Kilometerrunde? Die apricotfarbenen, die herrlich viel Stabilität bieten und mir die Beinarbeit beinahe abnehmen? Die federleichten, die mich zwingen werden, Vollgas zu geben, weil sie dafür konzipiert wurden? Die fliederfarbenen – schlicht, weil sie toll aussehen? Lieber jene, die speziell für Läufe auf dem Asphalt entworfen wurden? Ein kurzer Blick durchs Fenster; denn wenn es regnet, werde ich auf die wasserdichten zurückgreifen müssen. Doch auch dann wieder die Frage: Stabilität oder Leichtgewicht? Ich habe es wirklich nicht einfach bei der Auswahl meiner Laufschuhe und dieses Intermezzo wiederholt sich jeden Morgen.
Habe ich mich endlich entschieden, bin ich immer zufrieden mit meiner Wahl – denn sämtliche Schuhe in meinem Schrank passen mir wie angegossen. Deshalb habe ich gewissermassen nicht einen Lieblingsgegenstand, nicht zwei, nicht drei, sondern 13. 13 Paar Laufschuhe.
Womit ich wohl das Klischee erfülle, dass Frauen Schuhe lieben. Zu meiner Verteidigung: Bei mir stauben keine ein. Und all die gelaufenen Kilometer erfordern entsprechende Ausrüstung. Eine Faustregel besagt nämlich, dass ein Schuh 600 Kilometer durchhält. Jeder Laufschuh hat einen Lebenszyklus. Am Anfang steht der Kauf. Oftmals habe ich aber auch Glück und bekomme ein Paar geschenkt. Ein grosses Dankeschön an meine Sponsoren aus dem engen Familienkreis. Da ich kein guter Onlineshopper bin, weil mich auch hier die schier endlosen Möglichkeiten überfordern, zieht es mich in die nahegelegenen Sportgeschäfte. Ich muss den Schuh sehen, bevor ich ihn mit nach Hause nehme. Natürlich habe ich nach mehrjähriger Lauferfahrung ein Gefühl dafür entwickelt, welcher passt. Ich bin etwa kein Fan von Modellen, welche Gas in der Sohle haben zur Dämpfung. Ich schwöre stattdessen auf Gel. Aber ich bin ein Freund von Pronationsschützen im Schuh – dabei handelt es sich um härteres Material in Keilform, das in der Mitte des Schuhs angebracht wird und verhindern soll, dass der Fuss bei der Abrollbewegung nach innen kippt. Hochtechnisch scheint das Ganze inzwischen. Entwickelt wurde der Laufschuh übrigens Ende der 1960er Jahre vom deutschen Sportschuhmacher Eugen Brütting in Zusammenarbeit mit dem neuseeländischen Leichtathletiktrainer Arthur Lydiard, wie auf Wikipedia nachzulesen ist. Eines der ersten Modelle, welches 1970 auf den Markt kam, war der legendäre «Roadrunner».
Nach dem Kauf folgt schliesslich der schönste Teil. Jener Abschnitt des Lebenszyklus, der den Schuh zu meinem Lieblingsgegenstand macht: Das Laufen. In den Wäldern, an Bächen und Seen entlang, in Städten im In- und Ausland. Meine Schuhe sind ein treuer Begleiter. Und mit jedem ist eine besondere Erinnerung verknüpft: Die ersten 40, 50, 60 oder 70 Kilometer am Stück. Der erste Lauf in der Nacht. Jener Schuh, mit welchem ich mich durch Sturm und Regen gekämpft habe. Wegen der Erinnerungen bewahre ich die Schuhe, die ausgedient haben – die Veteranen gewissermassen, die harte Kämpfe mit mir durchgestanden haben – lange auf. Gelegentlich kommen sie bei Spaziergängen noch zum Einsatz. Und bis sie schliesslich entsorgt werden, sind sie völlig durchlöchert, die Sohle komplett abgelaufen und ich hoffe inständig, dass meine Gelenke besser aussehen, als der zerfetzte Stoff. Und gerade jetzt, wenn einer der fleissigen Zeitungsausträger, denen ich jeden Morgen begegne, Ihnen frühmorgens die Zeitung in den Briefkasten legt, bin ich mit einem der dreizehn Paar Schuhe unterwegs.
Hinweis
In der Sommerserie der «Zuger Zeitung» stellen die Redaktorinnen und Redaktoren ihre Lieblingsgegenstände vor.