Der kleine Elefant begleitet Redaktorin Carmen Rogenmoser schon lange. Oft übersieht sie ihn - nimmt sie ihn aber wahr, erinnert er sie an vieles.
Gepflegt sieht er eigentlich nicht aus, mein Lieblingsgegenstand. Das fällt mir nur auf, weil ich ihn seit längerem wieder einmal ganz genau betrachte. In jeder Ritze finden sich Staubspuren. Um das zu sehen, muss ich allerdings tatsächlich sehr genau hinschauen. Denn der Gegenstand ist gerade einmal rund vier Zentimeter gross und bloss halb so breit. Es handelt sich dabei um eine bronzene Ganesha-Figur – jener bekannte hinduistische Gott, der in der Form eines Elefanten erscheint.
Seit über zehn Jahren steht die kleine Figur immer irgendwo in meinem gegenwärtigen Zuhause. Begleitet wird sie in der Regel von einem ähnlich grossen Holz-Buddha aus Kambodscha und einer kleinen Schildkröte aus Italien, deren Kopf lustig wackelt. Die drei gehören zusammen, ergänzen sich quasi. Momentan sind sie nebeneinander auf einem Bücherregal im Wohnzimmer aufgereiht.
Das Trio erinnert mich an Reisen, mit denen bestimmte Erfahrungen und einschneidende Lebensabschnitte zusammenhängen. Nichts prägte mich dabei mehr als die Beschäftigung mit dem Hinduismus, mit Indien als Land, dessen Vergangenheit und Bewohner.
Ich habe Ethnologie studiert. Ein Studienfach, das ich oft erklären musste und mit dem ich trotzdem häufig auf Unverständnis gestossen bin. Für mich allerdings war die Studienzeit quasi lebensverändernd. Ich hatte das Gefühl, in den Reihen meiner Mitstudenten völlig angekommen zu sein. Ich habe gelernt, selber zu denken und konnte grosse Offenheit und Neugier für die Welt, die verschiedenen Lebensweisen von Menschen und deren Interessen entwickeln. Ich habe erfahren, dass soziale Normen nicht universell sind, dass man sich ihnen aber auch nicht entziehen kann. Auf eine unerklärliche Weise brachte mir das eine tiefe Zufriedenheit und einen bisher unerschütterten Glauben ans Positive. Die Elefanten-Statue erinnert mich an all das. Sie hat für mich keinen materiellen und schon gar keinen religiösen Wert, sondern einen ganz persönlichen.
Ich brachte Ganesha von einer mehrmonatigen Studienreise nach Hause. Dabei lernte ich, neben der Datenerhebung für die Masterarbeit, das einfache Leben kennen, genoss das gute Essen. Ich fühlte mich in einem Land, das kaum unterschiedlicher zu meinem zu Hause sein konnte, wunderbar wohl. In meinem gegenwärtigen Leben ist diese intensive Zeit äusserlich kaum mehr sichtbar – ausser eben an dieser kleinen Figur, die ganz unauffällig neben vielen Büchern steht.
Schaue ich mir die Figur nun für den vorliegenden Artikel genau an, sind die Erinnerungen ganz nah. Ein schönes Gefühl. Fasziniert war ich damals auch von der gelebten Religion in Indien, egal ob Hinduismus, Buddhismus, Sikhs, Moslems oder was auch immer.
Ganesha ist einer der beliebtesten Götter im Hinduismus. Dabei ist er, wie so viele andere Götter auch, nicht immer nur nett. Er ist Herr über Hindernisse und kann diese sowohl aus dem Weg räumen wie auch einsetzen. Deshalb darf Ganesha bei keinem Gebet, keiner Festlichkeit und bei keinem neuen Unternehmen vergessen werden. So bleibt er gnädig und hilfsbereit. Ihm wird unter anderem zudem zugeschrieben, gütig, klug, humorvoll, gar schelmisch zu sein. Doch die religiöse Interpretation ist für mich nicht von Bedeutung. Mein kleiner, verstaubter Gott in Elefantenform bringt mich zu einem Lebensabschnitt zurück, den ich auf keinen Fall missen möchte.
In der Sommerserie der «Zuger Zeitung» stellen die Redaktorinnen und Redaktoren ihre Lieblingsgegenstände vor.