SCHÖNHEIT: Ihr Streben nach Perfektion

Immer mehr Junge wollen den perfekten Körper. Vor allem bei den Männern wächst der Ehrgeiz. Sie stürmen die Fitnessstudios. Es bleibt aber nicht immer dabei.

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Gewichte heben: Immer mehr Jugendliche tun dies für den vermeintlich idealen Körper. (Bild: Keystone)

Gewichte heben: Immer mehr Jugendliche tun dies für den vermeintlich idealen Körper. (Bild: Keystone)

Andreas Fässler

«Ab 17 Uhr ist hier die Hölle los», sagt ein Fitnessinstruktor zu einer erstaunten Dame, die sich über den immensen Andrang wundert. Es ist Feierabendzeit. Es wimmelt im Fitnesspark Eichstätte Zug, dem grössten Fitnesscenter der Schweiz – gemessen an der Mitgliederzahl. Kaum ein Fitnessgerät ist unbesetzt, die Cardio-Maschinen rattern, die Gymnastikecke ist voll. Vornehmlich junge Frauen strecken und dehnen sich hier, auch bei den Ausdauergeräten sind sie in der Überzahl. Das Gros der Kraftsporttreibenden hingegen besteht aus jungen bis sehr jungen Männern, schätzungsweise im Alter von 16 bis 23 Jahren. Das entspricht alles ganz dem Trend, den diverse Medien und auch wissenschaftliche Studien in letzter Zeit wiederholt feststellen: Junge Menschen, und zwar insbesondere immer mehr Männer, ertüchtigen sich im Fitnessstudio, stemmen mehrmals in der Woche Eisen, oft zu zweit oder zu dritt, spornen sich gegenseitig an. Makelloses Aussehen, ein perfekter Körper sind ihr Ziel. Gespeist von den vermeintlichen Idealen, die sie aus Social Media und Werbung kennen, eifern sie immer mehr einem muskulösen, körperfettarmen und bevorzugt haarlosen Erscheinungsbild hinterher. Eine gute Figur läuft dem Körperschmuck wie Piercings oder Tattoos allmählich den Rang ab.

Ihren Fortschritt überprüfen die Jungen laufend, wiederholt kritische Blicke in den Spiegel, ein wenig gepost. Die Muskeln prall, die Adern treten wie gewünscht hervor, sie sind zufrieden. Auch nach dem Work-out in der Kabine die genaue Prüfung des Marktwertes – das eng anliegende Markenshirt mit dem weiten Ausschnitt betont den trainierten Oberkörper, die Frisur sitzt, die getrimmten Augenbrauen liegen schön flach. Alles gut.

Körperkult versus Gesundheit

Ein ähnliches Bild zeigt sich im Fitnessstudio One in Baar zur selben Tageszeit. Hier ist der Andrang zwar weniger gross, aber der Anteil an Jungen weist in etwa dasselbe Verhältnis auf wie in der Eichstätte. Diese Feststellungen kann Andreas Landolt, Leiter Fitnessparks Genossenschaft Migros Luzern und Leiter Fitnesspark Eichstätte Zug, bestätigen. «In den letzten zehn Jahren hat sich der Anteil an Mitgliedern unter 20 Jahren so gut wie verdoppelt», sagt er. Ein Blick auf die hausinterne Statistik zeigts unmissverständlich. Der grösste Anstieg habe dabei in den vergangenen fünf Jahren stattgefunden. Und er weiss auch, dass die Jungen weniger mit dem Ziel herkommen, bewusst für ihre Gesundheit etwas zu tun. «Es ist der Körperkult», stellt Landolt lapidar fest.

Mit Gift schneller zum Ziel

Er greift in diesem Zusammenhang auch den Aspekt mit den Social Media auf. «Die jungen Benutzer wollen fit sein für die Selfies», sagt er leicht schelmisch, meint es aber durchaus ernst. Für einen aufschlussreichen «Rundschau»-Beitrag zum Thema «Körperkult junger Männer» im November 2013 nahmen SRF-Reporter einen Augenschein in einem privaten Fitnessstudio am Rande der Stadt Zug. Schnell war klar: Man eifert Idolen nach, ist von den scheinbar perfekten Bodys auf Kinoleinwänden beeindruckt, will sich damit Respekt verschaffen. Auch der dortige Studiobesitzer bestätigte den zunehmenden Andrang von Teenagern – in den meisten Fitnessstudios sind Mitglieder ab dem 16. Altersjahr zugelassen, so auch in der Eichstätte. Dass es von diesem Streben nach dem Muskelkörper zum Griff nach illegalen Substanzen nicht sehr weit ist, ist selbstredend. Der natürliche Muskelaufbau dauert manchen Jungs zu lange. Per Injektion zugeführtes Testosteron, Trenbolon, Boldenon oder als Pillen eingenommenes Dianabol und zahlreiche weitere Laborpräparate oft zweifelhafter Herkunft – die Folgen für Körper und Psyche können immens und im schlimmsten Fall irreparabel sein. Aber ein gestörter Hormonhaushalt, schlechte Haut sowie Nieren-, Leber- und gar Herzschäden werden verharmlost oder geflissentlich in Kauf genommen, solange es dem Spiegelbild zuträglich ist. Den Konsum zugeben, das tun allerdings die wenigsten. Es gebe jedoch kaum ein Kraftstudio, in dem der Gebrauch von illegalen muskelaufbauenden Substanzen nicht vorkomme, hiess es in der SRF-Doku.

So richtig direkt mit Anabolika-Missbrauch konfrontiert worden ist man im Fitnesspark Eichstätte gemäss Andreas Landolt bislang zwar nicht. «Es wäre ohnehin schwierig, dies zu kontrollieren», weiss er. Würde aber ein aktiver Konsum innerhalb des Fitnessstudios oder gar ein Dealen festgestellt, dann würde das natürlich nicht toleriert, so Landolt.

Der Griff zum Messer

Das Streben nach dem perfekten Body der jungen Generation findet allerdings nicht nur im Rahmen der körperlichen Ertüchtigung an Hantel und Laufband statt. Die Zahl junger Menschen, die ihrem Erscheinungsbild mit kosmetischen und operativen Eingriffen nachzuhelfen bereit sind, ist ebenfalls gestiegen. Auch hier ist insbesondere bei den Männern ein auffallender Anstieg zu verzeichnen. «Sie sind sehr körperbewusst geworden», weiss Doris Rebmann, Geschäftsleiterin von Diru-Med, Zentrum für ästhetische Medizin und plastische Chirurgie in Hünenberg See. Am gefragtesten seien bei ihnen Fettentfernung per Liposuction oder Fettwegspritze, Nasen- oder Augenlidkorrekturen, Gesässimplantate sowie auch einfachere Prozeduren wie Zahnaufhellung oder Körperhaarentfernung. Auch der Einsatz von Botox oder Behandlungen mit Hyaluronsäure seien bei den Männern angekommen. Wenn also mit Sit-ups oder dem stundenlangen Rennen auf dem Laufband den Speckröllchen nicht vollends zu Leibe zu rücken ist oder das Sixpack partout nicht so richtig zum Vorschein kommen will, dann helfen immer mehr Junge mit chirurgischen Eingriffen nach.

Ein Ende dieses kollektiven Strebens nach dem idealen Körper zeichnet sich nicht ab. Im Gegenteil. Sowohl in Social Media als auch in der Werbung werden vermeintlich perfekte Körper auch fürderhin die vorwiegenden Sujets darstellen und der (jungen) Masse suggerieren, dass makellose Kurven und fettlose Muskelkörper das erstrebenswerte Ideal sind.