Die Staatsbahn hat in der Vergangenheit neue Strecken gebaut, aber dem Erhalt des Netzes nicht die nötige Beachtung geschenkt. Das Verpasste soll jetzt aufgeholt werden. Eine Herkulesaufgabe, die ins Geld geht und die Bahn noch lange beschäftigen wird.
Marco Morosoli
marco.morosoli@zugerzeitung.ch
Auf Verschleiss fahren – wie das einst die Deutsche Reichsbahn mangels Geld in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1989 praktiziert hat – tut die SBB nicht. Doch es ist eine Tatsache, dass bezüglich des SBB-Streckenunterhalts Nachholbedarf besteht. Das haben Netzzustandsberichte den SBB-Verantwortlichen eindrücklich vor Augen geführt.
Mittlerweile anerkennt dies auch die Staatsbahn. Markus Bochsler, er ist Leiter Instandhaltung Region Mitte, sagt denn auch frank und frei: «Weil die SBB in der Vergangenheit die Infrastruktur zu wenig unterhalten haben, haben sie heute in diesem Segment einen Rückstand.» Laut SBB-Quellen soll sich dieser bis 2020 stabilisiert haben, abgebaut ist er aber erst 15 Jahre später.
Seit dem 1. Januar 2016 wird die SBB-Infrastruktur mit Geldern aus dem Fabi-Fonds wieder in Schuss gebracht. Die Abkürzung Fabi bedeutet «Finanzierung und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur». Da in Sachen Unterhalt Nachholbedarf besteht, fliessen derzeit rund 700 Millionen Franken in den Unterhalt, weitere 1,4 Milliarden in Erneuerungsarbeiten.
Da sind die 150 000 Franken, welche die SBB in dieser Woche für den Einbau neuer Schienen zwischen den Bahnhöfen Rotkreuz und Immensee aufwenden, wie ein kleiner Klacks. Doch selbst dieser Einsatz neuer Schienen auf einer Länge von 600 Metern ist generalstabsmässig geplant. Drei Monate im Voraus muss, wie Gjon Gjoklaj vom dort tätigen Bautrupp erklärt, geplant werden, dass hier in Rotkreuz ein Gleis der zweispurigen SBB-Strecke auf einer Länge von 600 Metern gewechselt werden muss. Das soll bei laufendem Betrieb geschehen. Das heisst, auf dem anderen Gleis fahren immer wieder Züge vorbei. Dann gilt jeweils die höchste Alarmstufe.
Um die Sicherheit des Bautrupps kümmern sich fünf Sicherheitswärter. Züge werden dabei mit einem Hornstoss angekündigt. Alle auf dem Bauplatz wissen dann, was zu tun ist. Um den Betrieb so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, ist eine nahe Spurwechselstelle von Vorteil. Beim gestern den Medienvertretern vorgestellten Bauplatz ist dies der Fall. Eher aussergewöhnlich ist, dass die Arbeiten bei Tage ausgeführt werden. Solche Instandstellungsarbeiten werden sonst meist in der Nacht durchgeführt. Da der Güterverkehr von und nach Italien hier durchkommt, ist aber in der Nacht mehr los als während des Tages.
Die Arbeiter auf dem Bauplatz gehen nach einer Prozedur vor, die in einem Dokument im Detail notiert ist. Wenn die Leute des Bautrupps miteinander sprechen, verstehen Aussenstehende oft nur Bahnhof. Wie Gjon Gjoklaj sagt, kommen die Arbeiten sehr gut voran. In diesem Fall wird aber «nur» das Gleis gewechselt. Die zu ersetzenden Schienen sind 1999 gewalzt und verbaut worden. Im Gegensatz zu anderen SBB-Baustellen wird aber weder der Schotter entfernt noch werden die Schwellen ausgetauscht. Die verschiedenen Elemente des Streckenunterbaus haben verschiedene Wechselzyklen. Damit die Wagen der Gotthard-Züge von und nach Luzern ruhig laufen, wird der Schienenstoss zusammengeschweisst. Das ist eine Wissenschaft für sich. Drei Mitarbeiter des Bautrupps kümmern sich nur um diese Arbeit. Hier ist Millimeter-Arbeit gefragt. Die Schienen dürfen an ihren Enden nicht weiter als 25 Millimeter voneinander zu liegen kommen. Dann bauen die Fachleute eine Art kleine Burg um die Stelle, die überbrückt werden soll. «Es ist wie ein Hochofen im Kleinformat», sagt SBB-Mann Markus Bochsler. In einem Feuerschein tropft flüssiger Stahl aus einem Trichter auf die Stelle, die verschweisst werden soll. Damit dann alles fest zusammenhält, müssen die zu verschweissenden Schienen zuerst auf rund 25 Grad Celsius erhitzt werden. Nach einer halben Stunde ist alles erledigt. Wenn alles so ist, wie es sein muss, wartet der nächste Schienenstoss, den die drei Spezialisten auffüllen müssen. Wenn dann die Gleise, sie werden in Längen von 108 Metern angeliefert, verlegt sind, ist die Arbeit aber noch nicht erledigt. Die Schienen müssen noch geschliffen werden.
Langeweile wartet auf die SBB-Mitarbeiter aber nicht. Romeo Zemp, er ist SBB-Niederlassungsleiter der Infrastruktur in Luzern, sagt: «Unsere Auftragsbücher für das Jahr 2018 sind bereits voll.» Dies ist auch deshalb notwendig, weil viele der verbauten Teile keine Stangenware sind. Die Gleise haben dabei ein genormtes Mass von 108 Metern. Sie bestehen aus speziell legiertem Stahl erster Güte. Um die notwendige Qualität zu erhalten, werden die Schienen bei 1250 Grad Celsius rund 20 Mal gewalzt. Schienen gibt es nur in gerader Form – dies im Gegensatz zu Modelleisenbahnen –, ihre Krümmung erreichen sie durch das Festmachen an den Schwellen. Der Abstand zwischen den Schwellen beträgt 60 Zentimeter. Bei Streckenabschnitt in Rotkreuz bestehen diese aus Eisenbeton. Im Gegensatz zu Holzschwellen haben sie eine Lebensdauer von rund 40 Jahren.
Im Buch «Warnsignal – Schweizer Bahnnetz in Gefahr» von Sepp Moser wird eine Faustregel genannt, diese besagt, dass ein Netz innerhalb von 50 Jahren vollständig erneuert werden muss. Zu beachten ist auch, wie häufig die Fahrbahn pro Tag genutzt wird. Markus Bochsler von der Infrastruktur erzählt dabei von Strecken, auf denen pro Tag über 100 Züge rollen. Zudem seien, so sagt Markus Bochsler in einem Nebensatz, einige Triebzüge wahre Schienenfresser. Aber der SBB-Mann verspricht, dass die SBB heute genau hinsehen: «Es ist unser Ziel, Schäden gar nicht erst entstehen zu lassen.» Für die Überprüfung werden spezielle Messzüge der Deutschen Bahn angemietet. Aber es wird auch immer wieder ungeplante Einsätze geben, dann braucht es Profis wie den Bautrupp von Rotkreuz.