Kari Stadler ist der Hüttenwart der Sustlihütte: «Die Freiheit hier oben ist extrem»

Kari und Agi Stadler führen seit 16 Jahren die Sustlihütte der Zuger SAC-Sektion Rossberg. Ihr Alltag ist geprägt von harter Arbeit, spannenden Begegnungen und, wie im Moment, auch den Launen der Natur.

Stephan Santschi
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«Völlig frustrierend.» Kari Stadler redet nicht um den heissen Brei herum, wenn er die Situation einschätzt. Am Donnerstag, 30. Mai 2019, soll die Sustlihütte den Betrieb aufnehmen, doch danach sieht es momentan nicht aus. Der Grund: Schnee. Letzte Woche seien 95 Prozent des Aufstiegs von der Sustenstrasse unter einer weissen Decke verborgen gewesen, um die Hütte herum reichte der Schnee sogar bis zur Hüfte. «Vorbereitungsarbeiten sind so nicht möglich», erzählt Stadler und lachend fügt er an: «Es ist wie für einen Sportler, wenn er dreimal in die Startpflöcke gestiegen ist und nicht loslegen kann. Wir sind auf 180, wären bereit für den Einsatz. Doch alles steht still.»

Kari Stadler schaufelt vor der auf 2257 Metern über Meer gelegenen Sustlihütte Schnee. (Bild: PD)

Kari Stadler schaufelt vor der auf 2257 Metern über Meer gelegenen Sustlihütte Schnee. (Bild: PD)

Kari Stadler ist aber ein zu alter Fuchs, um sich von solchen Umständen aus der Bahn werfen zu lassen. Seit Herbst 2003 ist er mit seiner Frau Agi als Hüttenwart für den Betrieb der Sustlihütte zuständig. Gelegen ist sie zwar im Kanton Uri auf 2257 Metern, angeschlossen ist sie im Schweizer Alpen-Club (SAC) aber der Zuger Sektion Rossberg. «Seit 1985 bin ich Bergführer und war oft in solchen Hütten. Als ich in meinem Leben etwas ändern wollte, war es naheliegend, sich für diese Stelle zu bewerben», erzählt Stadler, der in Seedorf rund 40 Auto­kilometer von der Sustlihütte entfernt wohnt.

SAC-Hütten setzen heute auch auf Familien

Und so verbringt er nun seit 16 Jahren den Sommer in der SAC-Hütte nahe des Sustenpasses, während er im Winter weiterhin als Bergführer arbeitet. «In einer solchen Umgebung fühlen wir uns am wohlsten», sagt Stadler. Er schwärmt von der Fauna und Flora, von sternenklaren Nächten und dem atemberaubenden Blick ins Meiental. «Wenn am Morgen der erste Sonnenstrahl in die Küche fällt, gibt das viel Energie.» Die können er und seine Frau auch gut gebrauchen, denn das Pensum ist weitaus höher als in einem normalen Alltag. «Um 5 Uhr stehen wir auf, um 22 Uhr, wenn die Hüttenruhe beginnt, neigt sich der Arbeitstag dem Ende zu.» Dazwischen liegen Pflichten, wie das Zubereiten des Frühstücks und des Abendessens, Putzeinsätze oder Instandstellungsarbeiten an der Hütte und im Aussenbereich. «Als Hüttenwart musst du ein Allrounder sein. Sanitäre Anlagen, Elektrizität, Wasserfassung, Bewirtschaftung der Wanderwege, Kochen – von allem sollte man eine Ahnung haben.»

Über 70 Schlafplätze stehen zur Verfügung, drei Gaststuben und die Terrasse laden derweil zum Verweilen ein. Waren SAC-Hütten früher Unterkünfte für Bergsteiger, richtet sich das Angebot heute auch an Wanderer und Familien. «Wenn wir die Familien nicht hätten, würden wir alt aussehen», betont Stadler. So gibt es um die Sustlihütte herum nicht nur Felswände und Bergwege, sondern auch Klettergärten für die Kleinen. Dass die Bandbreite der Kundschaft gross ist, bestätigt Stadler, wenn er sagt:

«Einmal hatten wir gleichzeitig ein einjähriges Baby und einen 91-jährigen Senioren zu Gast.»

Mittlerweile ist ihm die Sustlihütte derart ans Herz gewachsen, dass er sie «seine Stube» nennt. Deshalb reagiert Stadler mitunter empfindlich, wenn Gäste rücksichtlos handeln. Wenn sie mit ihren Steigeisen die Wände zerkratzen. Oder wenn Kinder die Tischdekoration kaputtmachen. Die schönen Erlebnisse allerdings überwiegen, vor allem die leuchtenden Kinderaugen nach erfolgreichem Aufstieg über den Leiterliweg oder das alljährliche Wiedersehen mit Stammgästen freuen ihn. Auch die eine oder andere Schmonzette hat sich in seiner Erinnerung verankert. Jene des deutschen Pärchens etwa, das ihn eines Tages verstohlen um ein Kondom bat. «Dienen konnte ich damit leider nicht», berichtet Kari Stadler und lacht.

Doch Hand aufs Herz: Sorgen die Einsamkeit und der Mangel an Luxus abseits der Zivilisation nicht auch für bedrückende Momente? «Nein, das plagt uns nicht, wir leben gerne in engen und einfachen Verhältnissen. Die Freiheit hier oben ist extrem, keiner sagt uns, was wir zu tun haben.» Zwischendurch störe es ihn zwar, wenn er sich keine Zeit für sich selber nehmen könne. «Stattdessen nehmen wir dann kurz einen Kaffee auf der Terrasse oder spazieren zum Seeli am Kanzelgrat und nehmen den Fotoapparat und den Feldstecher mit.»

«Vier bis fünf Jahre dürfen es noch sein»

Vor kurzem ist Kari Stadler 60 Jahre alt geworden, seine Frau ist 52. «Solange es die Gesundheit zulässt, möchten wir weitermachen. Vier bis fünf Jahre dürfen es schon noch sein.» Wenn zum Sommeranfang jeweils die Rückkehr zur Sustlihütte ansteht, freue er sich darauf noch immer wie auf die Ferien. Im Wissen, dass sie manchmal halt etwas erdauert werden müssen.