Der Anteil der 18- bis 24-jährigen IV-Bezüger nimmt zu. Der Grund sind psychische Probleme. Experten sind überzeugt: Das Problem muss früher angepackt werden.
Die Invalidenversicherung (IV) hat einige Änderungen hinter sich. Mit der 4. und 5. Revision aus den Jahren 2004 und 2008 wollte der Bund ihre Handlungskompetenzen stärken. Zudem wurden die Instrumente für die berufliche Integration ausgebaut. Dies nicht zuletzt, um die Versicherung zu sanieren. Dies geschieht einerseits durch eine temporäre Erhöhung der Mehrwertsteuer. Andererseits wird bei der Ausgabenseite angesetzt, und zwar nach dem Grundsatz «Eingliederung vor Rente». Wie ein im Februar veröffentlichter Bericht des Bundesamtes für Sozialversicherungen zeigt, waren diese Bemühungen – auch aufgrund von Leiturteilen des Bundesgerichts – erfolgreich. So konnte die Anzahl der Neurenten zwischen 2003 und 2013 halbiert werden (von rund 28 000 auf 14 000).
In einem Bereich jedoch zeigt sich diese Tendenz nicht. «Bei den Jugendlichen, das heisst bei den 18- bis 24-Jährigen, können wir keinen Rückgang verzeichnen», sagt Heidi Schwander, stellvertretende Leiterin der IV-Stelle Zug.
Schweizweit wurden Ende 2013 insgesamt 230 341 Invalidenrentnerinnen und -rentner gezählt. Rund 8800 davon waren im Alter zwischen 18 und 24 Jahren. Das entspricht einem Anteil von knapp 4 Prozent. Von den neu zugesprochenen Renten entfallen jedoch rund 14 Prozent auf die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen. Im Kanton Zug haben Ende 2013 insgesamt 2411 Personen eine Invalidenrente bezogen. Die kantonalen Zahlen gibt es nicht nach Alter aufgeschlüsselt. Aber: «Die Entwicklung im Kanton Zug verläuft parallel zur gesamtschweizerischen. Der Anteil an Jugendlichen nimmt also zu.» Der Grund: «Es gibt immer mehr junge Menschen, die mit der Diagnose einer psychischen Erkrankung zu uns kommen», erklärt Schwander. Es handle sich dabei vor allem um ADHS, Autismus- sowie Persönlichkeitsstörungen. «Gelingt den Betroffenen der Einstieg in die Berufswelt nicht, beziehen sie heute häufig eine Rente», so Schwander weiter.
Dass der Übergang von der Schule in die Berufswelt immer schwieriger wird, merken auch andere Stellen. So verzeichnet das Case Management Berufsbildung Zug – ein Bundesprojekt, das es in Zug seit 2009 gibt – eine immer grössere Nachfrage. Die kantonale Stelle bietet Jugendlichen, deren Einstieg in die Berufswelt stark gefährdet ist, eine koordinierte und konstante Begleitung auf dem Weg zum Berufsabschluss. «Wir sind inzwischen vier Case-Manager und betreuen 150 Fälle», sagt Stellenleiter Sandro Imfeld. Die Fallzahlen seien seit 2009 konstant gestiegen. «Psychische Probleme sind bei uns ein zentrales Thema. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir eine sogenannte ‹Mehrfachproblematik› feststellen müssen – sprich Schwierigkeiten in der Schule und in anderen Lebensbereichen – damit wir einen Fall übernehmen», erklärt Imfeld. Die Zahl der Jugendlichen mit psychischen Problemen habe in den letzten Jahren aber ebenfalls zugenommen. «Das ist eine subjektive Wahrnehmung. Wir haben keine Zahlen», so Imfeld. Auf der anderen Seite komme es auch häufig vor, dass die Jugendlichen überfordert seien. So stark, dass ein erfolgreicher Abschluss ernsthaft gefährdet sei. «Sie wollen eine Ausbildung machen, können jedoch den vielfältigen Anforderungen in und ausserhalb der Lehre nicht gerecht werden und stehen so unter starkem Druck», führt der Case-Manager aus.
Auch der kantonale Schulpsychologische Dienst, der die Schüler schon in der Primarschule begleitet, ist mit diesen Tendenzen konfrontiert. Zwar seien die Fallzahlen konstant hoch, sagt Leiter Peter Müller. Aber: «Die Fälle werden immer komplexer.»
Für Heidi Schwander ist klar: «Gegen diese Entwicklung brauchte es Massnahmen.» Denn je früher jemand eine IV-Rente beziehe, umso schwieriger sei der Ausstieg. «Es ist sehr anspruchsvoll, jemanden aus der Rente in die Arbeitswelt einzugliedern, der zuvor nie in der Arbeitswelt war», erklärt Schwander. Dies wiederum kann zur Folge haben, dass junge Menschen ab ihrem 18. Altersjahr bis zur Pension auf die IV angewiesen sind. «Das ist natürlich nicht in unserem Interesse, aber es kann auch nicht im Interesse der Betroffenen sein», sagt Schwander. Die Stellenleiterin ist überzeugt, dass es noch mehr Austausch und eine noch engere Zusammenarbeit unter den Involvierten braucht. «Die Früherkennung ist enorm wichtig. Je früher man merkt, dass jemand Schwierigkeiten hat, desto besser kann man handeln und diese Person so begleiten, dass trotz Einschränkung eine Berufsausbildung möglich wird.» Schwander ist nämlich sicher: «Eine medizinische Diagnose schliesst ein erfolgreiches Berufsleben nicht automatisch aus.» Dazu brauche es aber neue Modelle und eine gewisse Toleranz seitens der Arbeitgeber. «Wir von der IV können da auch unseren Beitrag leisten. Etwa in dem wir einen Coach für die Ausbildung finanzieren oder Ausbildungsbetriebe beraten, damit die Eingliederung gelingt.» So könne das Ziel erreicht werden, Rentenzahlungen zu verhindern.
Seitens des Schulpsychologischen Dienstes ist man ebenfalls überzeugt, dass es durchaus mehr Zusammenarbeit braucht, wie Müller betont: «Bei der Komplexität der heutigen Phänomene gibt es nur die nahe Zusammenarbeit aller Player.» Die Beratung ende darum auch nicht am Ende der Sekundarstufe I. «Wir begleiten die Schüler darum auch nach Abschluss der regulären Schulzeit.» Sandro Imfeld begrüsst solche Aussagen. Der Case-Manager betont: «Es lohnt sich, frühzeitig hinzuschauen und entsprechende Hilfe beizuziehen. Denn heute kommt das ‹böse Erwachen› manchmal erst zu spät.»
Samantha Taylor