Geschichte
Postplatz Zug: Die Vision des Caspar Schell

Ein einfallsreicher Zuger zeigte einst auf, wie er sich die Gestaltung des Postplatzes vorstellte. Damit erregte er durchaus Aufmerksamkeit – auch wenn schliesslich alles anders kam.

Andreas Faessler
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Caspar Schells Plan für den Zuger Postplatz. Lithografie von 1857.

Caspar Schells Plan für den Zuger Postplatz. Lithografie von 1857.

Bild: PD

Das Eintauchen in die Geschichte der baulichen Entwicklung einer Stadt gehört mit zum Interessantesten, will man sich mit dem dynamischen Werden und Vergehen eines Stadtbildes auseinandersetzen. Zum einen geben uns abgebrochene Gebäude Aufschluss, wie die Stadt einst ausgesehen hat, zumal die europäischen Stadtbilder seit dem Einzug von Stichdruck, Vedutenmalerei und später vor allem der Fotografie visuell sehr gut und mitunter ausserordentlich genau dokumentiert sind. Zum anderen aber – und darum soll es hier gehen – lohnt sich auch die Auseinandersetzung mit all dem, was einst geplant war, aber nie zur Ausführung gelangt ist. Pläne für Einzelgebäude, Quartiere oder ganze Stadtkonzepte existieren in städtischen Archiven. Viele von ihnen sind reine Utopien geblieben, einige jedoch wurden durchaus ernstgenommen und gar für eine Umsetzung in Betracht gezogen. Schliesslich sind die Pläne dann doch wieder in den Schubladen verschwunden und wurden maximal partiell ausgeführt – oder lieferten wenigstens Anstösse für spätere Projekte.

Eine Millionenstadt St.Europ

Auch für Zug gab es einst kühne städteplanerische Ideen. Mitte des 19. Jahrhunderts trat damit besonders der Zuger Goldschmied Caspar Schell (1811–1869) hervor, welcher politisch und wirtschaftlich grosses Allgemeininteresse zeigte, über grosses zeichnerisches Talent verfügte und neben seinem Kunsthandwerk auch publizistisch tätig war. Heinz Horat, ehemaliger Zuger Denkmalpfleger, geht im Jahrbuch «Tugium» von 1993 ausführlich auf die bemerkenswerten, jedoch nie umgesetzten Visionen des illustren Goldschmieds ein. Für Zug hatte er mehrere davon. Die kühnste soll eine völlig neu angelegte Stadt namens St.Europ gewesen sein, die sich vom Zugerseeufer des Stadt- und Ennetseegebietes bis weit ins heutige Knonaueramt ausgedehnt und Platz für über eine Million Menschen gehabt hätte (*die Idee zu St. Europ wurde später jedoch Johann Jakob Leinbacher, einem Berufsgenossen Schells aus dem Kanton Zürich, zugeeignet). Die wesentlich kleinere Vision des Zugers betraf die Gestaltung des Zuger Stadtteils zwischen dem Quartier um die heutige reformierte Kirche und dem Postplatz, wobei auch Teile der Altstadt hätten verändert werden sollen.

Caspar Schells Vision einer Zuger Stadtplanung von 1860. In der Mitte der zum See hin offene Postplatz.

Caspar Schells Vision einer Zuger Stadtplanung von 1860. In der Mitte der zum See hin offene Postplatz.

Bild: PD

Fortschrittliche gestalterische Pläne hatte Schell jedoch schon drei Jahre vor den obengenannten Utopien ausgearbeitet – etwa für den Postplatz. In der «Neuen Zuger Zeitung» publizierte Schell eine eigenhändig angefertigte Lithografie mit einer Ansicht des Postplatzes, wie ihn sich der Zuger Goldschmied vorstellte. Nämlich als grossen, auf drei Seiten geschlossen bebauten, langgezogenen und gegen den See hin offenen Platz mit reichlich Freiraum zum Promenieren. Das 1873 fertiggestellte Regierungsgebäude steht noch nicht.

Grosszügig, offen, mondän

Die Lithografie zeigt, dass Schell bei seiner Gestaltung des Postplatzes, der damals noch Schanzen- oder Theaterplatz hiess, grosse Teile der bestehenden Bebauung mit in seinen Plan einbezog: Das den Platz bergseitig abschliessende spätbarocke Landtwingsche Gebäude von 1762 beliess er genauso wie das Baarertor und das anschliessende, 1842 errichtete Gebäude des Stadttheaters respektive das Hotel Bellevue. Vor dem Landtwingschen Gebäude hat Schell in seiner Abbildung einen der grossen Stadtbrunnen hingesetzt. Die Häuser links beherbergen Gaststätten, die Quaianlage ist als Baumallee gestaltet. Grosszügig, luftig und offen und mondän wirkt Caspar Schells Postplatz auf seiner Lithografie, obschon die Proportionen bei solchen Stadtveduten stets monumentaler wirken, als sie es in Natura waren.

Schells Vision des zum See hin verlängerten Postplatzes mit einer reichhaltigen Gastronomie stiess im provinziellen, doch allmählich wirtschaftlich aufstrebenden Zug durchaus auf Gegenliebe, orientiert man sich an Stimmen aus dem Volk in den damaligen Medien. Doch kam bekanntlich alles anders. Der palastartige Fideikommiss wich kurz vor der Jahrhundertwende dem heutigen Postgebäude. Das Baarertor war bereits 1873 abgebrochen worden, und wo das einstige Theatergebäude in die Höhe ragte, steht heute das kantonale Verwaltungsgebäude, in dem unter anderem die Direktion des Innern ihre Büroräumlichkeiten hat. Wo Schell eine einheitliche Bebauung mit Gastronomie vorgesehen hatte, blickt man heute auf die modernen Fassaden des «Plaza» und der Zuger Kantonalbank. Zum See hin trennt seit rund 150 Jahren das Regierungsgebäude den Postplatz von der Seepromenade.

Der Landsgemeindeplatz vermittelt eine Idee von Schells Vision

Von Caspar Schells Vision des Zuger Postplatzes als einheitlich gestalteter Freiraum und gesellschaftliches Zentrum der Stadt Zug ist heute nichts zu sehen. Dies ist hauptsächlich der Stadtentwicklung der vergangenen 100 Jahre geschuldet, welche ganz andere Wege genommen und das städtische Leben in Richtung Norden verlegt hat. Der Gedanke aber, wie der in jüngerer Zeit hinsichtlich seiner Gestaltung viel diskutierte Postplatz heute wirken würde, wären die Pläne Caspar Schells umgesetzt worden – er bleibt durchaus interessant. Eine ungefähre Idee könnte sich der Betrachter beim Landsgemeindeplatz holen, wo bis 1847 die Landsgemeinden abgehalten worden sind und welcher in seiner heutigen, gegen den See hin offenen Form und gesellschaftlicher Funktion Schells Idee vom Postplatz einigermassen nahekommt, wenn auch in deutlich kleinerer «Ausführung».

* Die verwegenen Pläne der «Millionenstadt St. Europ» hat Heinz Horat in besagtem Jahrbuch von 1993 Caspar Schell zugeschrieben. Der Zuger Historiker Urspeter Schelbert jedoch legte später dar, dass St. Europ auf eine Vision Johann Jakob Leinbachers (1813-1888) zurückgeht. Siehe dazu Tugium 36/2020.

Der Zuger Postplatz um etwa 1870 in einer Ansicht des Malers Johann Wilhelm Jankowski.

Der Zuger Postplatz um etwa 1870 in einer Ansicht des Malers Johann Wilhelm Jankowski.

Bild: PD/Andreas Faessler
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