«Doppelspitze soll die SPD retten», Ausgabe vom 26. Juni
Manchmal wundere ich mich schon über die Oberflächlichkeit und die Nonchalance, wie Falschmeldungen für Empörung sorgen und von allen weiterverbreitet werden. Der deutsche Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert soll zum Beispiel, wie in fast allen Medien zu lesen war, die Verstaatlichung der Konzerne gefordert haben, wenn man jedoch das Originalgespräch liest, dann ist nicht die Rede von einer Verstaatlichung, sondern von einer Vergesellschaftung der Profite und das ist etwas, was zutiefst bürgerlich ja schon fast Konservatives ist.
Wir in der Schweiz praktizieren dies in Form von Genossenschaften und im landwirtschaftlichen Bereich von Genossame und Korporation seit Jahrhunderten. Migros und Coop und die Raiffeisenkassen sind drei wichtige Beispiele. Hier redet niemand von Verstaatlichung. Sie sind und waren Selbsthilfeorganisationen. Aber auch die Rischer Energiegenossenschaft ist ein Beispiel. Viele dieser Genossenschaften wurden gegründet, weil die Konzerne zu einseitig nur einen Teil des Marktes beackerten. Ich bin überzeugt, auch die Energiewende muss von unten kommen und nicht von Konzernen.
Kevin Kühnert hat sich nur erlaubt, den vorherrschenden Kasinokapitalismus zu kritisieren und damit ein Sakrileg begangen. Auch wenn es die Ökonomen immer wieder bestreiten, ist es eine Tatsache, dass die Vermögensverteilung völlig aus dem Ruder gelaufen ist und dass heute nur sehr Wenige wirklich profitieren.
Der Kapitalismus in der heutigen Form muss diskutiert und vermenschlicht werden, sonst stirbt er. Auch der neue Kolonialismus unter amerikanischer Hegemonie, Globalisierung genannt, ist diskussionsbedürftig.
Was mich echt erschreckt hat, ist, dass selbst Medien wie die «Neue Zürcher Zeitung» die Mär erzählen, Kevin Kühnert habe eine Verstaatlichung verlangt. Aber wenn wir nicht einmal bereit sind zuzuhören und ein krankes System zu behandeln, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn das alte Schreckgespenst des Kommunismus aufersteht, obwohl sein Scheitern ja bewiesen ist. Wie die deutsche Sozialdemokratie auf die Kritik von Kühnert reagieren, ist peinlich und zeigt, dass sie zu Recht in der deutschen Politik zu einem Nonvaleur geworden sind. Kevin Kühnert regt eine notwendige Debatte an und die Folge ist eine Schnappatmungsdebatte, eine dumme unreflektierte Reaktion, die zeigt, dass die meisten nicht begriffen haben, wie ernst es um unser Wirtschaftssystem steht. Dass die SPS meines Wissens gar nicht reagiert, kann unkommentiert bleiben.
Michel Ebinger, Rotkreuz