Pirmin Reichmuth gehört zu den stärksten Schwingern der Schweiz. In der kommenden Saison wird er sich aber auf mehr als nur den Sport konzentrieren. Der Chamer wird Vater und eröffnet bald seine eigene Physio-Praxis. Wie er alles unter einen Hut bringen will, erklärt er im Interview.
Etwas ausserhalb von Cham steht ein schmucker Neubau. Auf dem Parkplatz parken die Fahrzeuge der letzten Handwerker und Lieferanten. Der Zuger Spitzenschwinger Pirmin Reichmuth nimmt gerade den gelieferten Hometrainer entgegen.
Zusammen mit seiner Geschäftspartnerin Angela Felber eröffnet der 27-Jährige am kommenden Montag seine eigene Physiotherapie-Praxis. Die Rolle des Unternehmers ist aber nicht die einzige, in der sich der 20-fache Kranzgewinner in diesem Jahr neu zurechtfinden muss, wie PilatusToday berichtet.
Wie fühlt es sich an, in der eigenen neuen Physiotherapie-Praxis zu stehen?
Pirmin Reichmuth: Es ist schon noch etwas surreal. Angela und ich hatten diesen Traum schon lange. Nun steht der Eröffnungstag so kurz bevor. Wir können kaum glauben, dass es nun so weit ist.
Wieso haben Sie sich dazu entschieden, sich zusammen mit Angela Felber selbstständig zu machen?
Das war nicht von Anfang an klar. Wir haben zusammen in Landquart studiert und da hat es zwischen uns nicht immer harmoniert. Wahrscheinlich auch weil wir ähnlich sind. Wir sind beides Personen, die sehr direkt sind und Dinge ansprechen. Das kommt beim Gegenüber nicht immer gut an. Doch eine Geschäftspartnerin, die immer das Gleiche sagt wie man selbst, braucht man nicht. Irgendwann mussten wir einsehen, dass wir dieselben Interessen haben und auch gleich denken. Da sind wir auf die Idee gekommen, dass zusammen zumachen.
Was fasziniert Sie am Beruf des Physiotherapeuten?
Dass ich mit Menschen arbeiten kann, die Verletzungen haben, die ich von mir selbst kenne und dabei meine Erfahrungen, die ich im Schwingen gesammelt habe, weitergeben kann. Ich glaube, die Erfahrungen, die man mit einer eigenen Verletzung macht, kann man in keinem Studium lernen.
Denken Sie, dass Sie auch ohne Ihre Verletzungsgeschichte in Ihrer eigenen Praxis stehen würdest? (Anmerkung der Redaktion: Pirmin Reichmuth hat sich bereits viermal das Kreuzband gerissen)
Definitiv nicht, ich wäre wahrscheinlich ohne meine Verletzungen nie in den Kontakt mit der Physiotherapie gekommen. Durch meine zahlreichen Stunden als Patient in einer Physiotherapie habe ich erst mein Studium angefangen.
Ist der Schritt in die Selbstständigkeit auch eine Absicherung, falls Ihre Karriere als Schwinger bei erneutem Verletzungspech abrupt enden würde?
Sicherlich ist es eine Absicherung. Ich habe immer gesagt, dass jemand, der voll aufs Schwingen setzt, es nicht ganz begriffen hat. Für mich ist es eine grossartige Möglichkeit, neben dem Schwingen noch ein paar Franken zu verdienen und etwas zuhaben für den Moment, in dem meine Schwingerkarriere endet. Ich baue mir dies lieber jetzt auf als mit 35 und vier Kindern. Jetzt ist das persönliche Risiko noch geringer.
In die Vaterrolle schlüpften Sie bereits in diesem Jahr. Sie und Ihre Frau Marion erwartet das erste gemeinsame Kind. Wie bringen Sie da alles unter einen Hut?
Das aller wichtigste ist sicher, dass ich eine wunderbare Frau an meiner Seite habe. Eine gute Organisation und dass wir uns absprechen, gehört aber auch dazu. Doch auch ich liege manchmal im Bett und denke: ‹Spinne ich eigentlich.› In diesen Momenten helfen mir sicherlich meine Erfahrungen aus dem Sport.
Wird Ihre Rolle als Spitzenschwinger unter Ihren beiden neuen Aufgaben leiden?
Als im vergangenen Herbst die Vorbereitungen für unsere Praxis so richtig ins Rollen kamen, hatte ich schon etwas Angst, dass mir für das Schwingen die Motivation und der Biss fehlen könnten. Zum guten Glück ist eher das Gegenteil eingetroffen. Ich arbeite sehr hart im Training und habe keine Motivation eingebüsst. Es ist auch mit Angela abgesprochen, dass ich mich während der Saison und sicher auch in der Vorbereitung auf das nächste Eidgenössische in der Physio-Praxis etwas zurücknehmen werde.
Wie war Ihre Vorbereitung im Winter auf die neue Saison?
Die war sehr gut. Ich war nicht verletzt und auch nie grossartig krank. Jetzt bin ich froh, dass es bald mit den Schwingfesten losgeht. Der Winter ist schon immer sehr lang.
Hat in Ihrer Vorbereitung die umstrittene Kampfrichterentscheidung im 7. Gang am ESAF gegen Bernhard Kämpf noch eine Rolle gespielt?
Bei mir persönlich nicht. Angesprochen werde ich jedoch häufig auf diesen Gang. Natürlich denke auch ich selbst ab und zu an diese Szene. Es ist aber überhaupt nicht so, dass dies mich bremsen würde.
Auch die Saison 2023 ist gespickt mit einigen Höhepunkten. Haben Sie spezielle Ziele?
Das grosse Ziel ist sicherlich das Unspunnen Schwinget Ende August. Ein besonderer Reiz hat für mich auch das Nordostschweizer Schwingfest in Mollis. Als Gast in der Höhle des Löwen zu schwingen ist immer speziell. Doch grundsätzlich gilt für mich: Immer Fest für Fest nehmen.