Die Künstlerfreunde Quido Sen und Roman Kames zeigen in der Galerie Billing Bild ihre zweite Doppelausstellung. Auf subtilste Weise widerspiegelt sie die ungeheuren Spannungen menschlichen Lebens und Erlebens heute – weltweit.
Dorotea Bitterli
Sind Künstler Sensoren, welche die Schwingungen globaler gesellschaftlicher Entwicklungen auffangen und sichtbar machen? Diese Frage taucht bald auf, wenn man durch die neuste Ausstellung in der Galerie Billing Bild wandert. Und ein weiterer Gedanke stellt sich ein angesichts der Zusammenschau der zwei Seelenverwandten Quido Sen und Roman Kames: Gesellschaftskritische Stellungnahme und Innerlichkeit sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Münze.
Ein utopischer Roman aus dem 17. Jahrhundert inspirierte Quido Sen zu seinen diesjährigen Arbeiten: «Labyrinth der Welt oder der Paradiesgarten des Herzens» des mährischen Philosophen und Reformpädagogen Jan Ámos Komenský (lat. Comenius), erschienen im Jahre 1631, mitten im Dreissigjährigen Krieg. Das Labyrinth steht bei Komenský für Chaos – für die verheerenden religiös-politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit, die mit ihren Schlächtereien, Vertreibungen, Seuchen und Hungersnöten halb Europa verwüsteten und entvölkerten. «Das ist aktuell nicht anders als damals», sagt Sen, «das Chaos heute sind die furchtbaren, nicht enden wollenden nahöstlichen Kriege, gewaltige Flüchtlingsströme, wachsende Intoleranz, Desinformation und Fake News.» Darauf reagiert er als Künstler.
Betritt man den langgezogenen Raum, fällt das Auge sofort auf eine Installation, die, angetrieben von einem kleinen Arduino-Computer, durch transparente Schläuchlein eine rote Flüssigkeit zwischen vier Glasbehältern hin und her pumpt. Viele Zuschauer assoziieren auf Anhieb Blut, Wunde, Transfusion, Sanität, Kriegsverletzung. Aber der Baarer Künstler macht darauf aufmerksam, dass es sich um eine simple Installation aus Wegwerfmaterialien, Elektronik und Wein handle und dass die Gefässe nach Zufallsprinzip geleert und gefüllt würden. Was ist wahr, was nehme ich wahr, was sind Bilder, Projektionen oder Fiktion, und was ist real? So fragt man sich plötzlich.
Die Installation aber ruht auf natürlich krumm gewachsenen Holzstücken und Ästen. «In den Ferien in Italien gefunden», wie Sen sagt – Archaisches bildet den Gegenpol zu den Hightech-Elementen, die seine Arbeiten in Bewegung versetzen. Elektronik wird auch eingesetzt, um in Orangennetzchen gehüllte farbige Plastiksäcke «atmen» zu lassen, durch Luftzuführung und -entzug: «Tiere» nennt Sen sie, sie liegen da wie zuckende Lebewesen, und eine Betrachterin fühlt sich an ihr eigenes zu früh geborenes Kind im Brutkasten erinnert. Wieder wird das Gehirn irregeführt, es entsteht eine seltsame Verwirrung – was ist tot und was ist Leben?
Auch Sens grafische Bilder an den Wänden des Nebenraumes spielen mit Lug und Trug, verstören und berühren gleichzeitig. Es ist eine Kunst, die sofort in tiefere Schichten gelangt, wo Verzweiflung und Trost vielleicht nebeneinander ruhen. Subversive und dennoch höchst emotionale Kunst.
Quido Sens Installationen, die «den Raum definieren, nicht füllen», wie er sagt, werden ergänzt durch Roman Kames’ Gemälde entlang der Wände. Seit dem Jahre 1992 besucht der wie Sen aus Tschechien stammende Kames jedes Jahr mehrere Monate das nordindische Ladakh, wohnt bei einem Lama, unterrichtet Kinder im Malen, hat sich mit dem Buddhismus auseinandergesetzt. «Ich habe in Paris studiert und lange dort gearbeitet. Aber Ladakh war eine Offenbarung – mit seinen Bergen, Gletschern, Seen, seinem Sand und seinem Licht hat es mich und meine Malerei von Grund auf verändert», sagt er im Gespräch.
Er malt auf handgeschöpftem Papier Indiens, und die oft verwendete Temperatechnik ermöglicht ihm auch das Beimischen von Erde aus dem Indus-tal. Sonne und Mond, die trockene Landschaft, eine indische Stadt, das hoffnungsvolle Warten auf den Monsun, «wenn sogar die Grillen sich freuen», sind die Motive seiner von Farbe und Licht durchfluteten Bilder. Drei nebeneinander hängende fächerförmige Dreiecke in zarten Pastellfarben nennt er «Milarepas Wolken» und bezieht sich damit auf den grossen tibetischen Mystiker und Dichter des 12. Jahrhunderts. Diese Kunst ruht in sich und scheint weit weg von den Ausschlägen heutiger Zeit. Dem Leiden in und an der Welt setzt dieser Künstler die Suche nach Genügsamkeit und innerer Stille entgegen.
Ähnlich wie einst Comenius, der die Lösung für Elend und Chaos im «Paradiesgarten des Herzens» sah.
Hinweis
«Labyrinth der Welt», Ausstellung von Quido Sen und Roman Kames in der Galerie Billing Bild bis und mit 29. Oktober, Haldenstr. 1, Eingang H2, Baar.