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Die Zuger Pianistin Judith Wegmann hat ein neues Album veröffentlicht. Es ist eine Auseinandersetzung mit Zeit.
Was ist Zeit? Warum ist eine lange Dauer auch kurz? Und was spielt sich zwischen zwei Tönen ab? Die Zeit hat nur ein Vorher und ein Nachher, weil wir sie jetzt gerade verpasst haben. Solche Gedanken mögen einem an Improvisationskonzerten durch den Kopf gehen. Sowieso: Zeit ist ein Grundgefühl in der Musik. Musik ist von Zeit durchdrungen.
Es gibt Tausend Gedanken über die Zeit. Judith Wegmann hat sich in den letzten Jahren ihre eigenen gemacht. Die gebürtige Zuger Pianistin, die seit zwölf Jahren in Biel lebt, lässt sich in ihrem bewegten Leben von Vergänglichkeit und Wandel voranpowern und weiss die Spannungen zu nutzen, die in den Momenten blitzen, da sie spielt und es spielen lässt. Dass sie sich in den letzten Jahren ausgiebig mit dem Komponisten Morton Feldman beschäftigt hat, der in seinen Klavierstücken die Zeit dehnt und anhält, unterstreicht ihre Obsession für diese Thematik.
2017 erschien ihr erstes Piano-Soloalbum «Le Souffle Du Temps» mit zehn Konzeptkompositionen und Improvisationen zum Thema Zeit. Nun doppelt die Pianistin nach: Ihr zweites Album enthält Auftragskompositionen der Schweizer Komponisten Daniel Anders, Cyrill Lim, Edu Haubensak und Hans Koch, die in Anlehnung an ihr erstes Album geschrieben wurden. Integriert sind vier «Reflexionen» von Judith Wegmann, in denen sie sich auf ihre Weise improvisatorisch mit dem Thema und den Auftragskompositionen auseinandersetzt.
Allein fünf kürzere Stücke hat der Bieler Daniel Anders geschrieben: lyrische Preziosen, klar wie Wasser, mit sanfter melodischer Bewegung, heftigen Akzenten und einem stetig ruhigen Flow. Die radikalste Komposition kommt von Hans Koch, die mit verzerrten Klarinettenklängen, Loops und Noises gemeinsam mit Wegmann konzipiert wurde. In ihren eigenen Improvisationen entwirft die Pianistin ein dunkel schimmerndes Klanguniversum, das mit allerhand Präparationen hallig donnert, vibriert, grollt, schleift und murmelt.
Wegmann hat einen langen Weg zurückgelegt, bis sie sich entschloss, mit ihrer Musik nach aussen zu treten. Sie lacht. «Ich habe schon mit sechs Jahren, als ich mich erstmals ans Klavier setzte, gewusst, dass ich Pianistin werden wollte. Seitdem trägt mich das Klavier durch das Leben. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mich mit der Musik auszudrücken.» Lange Zeit wollte sie nie etwas veröffentlichen, sondern immer nur live spielen und den Austausch mit dem Publikum spüren.
Ihre Obsession für das Klavier und die Suche nach ihrem eigenen Ausdruck hat sie durch verschiedene Ausbildungen geführt. Zunächst studierte sie sieben Jahre Jazz und Improvisation in Luzern, dann absolvierte sie in Luzern und Neuchâtel ein Klassik-Studium und besuchte auch später Meisterklassen in der Schweiz, Frankreich und Österreich.
Die Jazzausbildung habe ihr die Türen zum freien Spielen geöffnet. «In der Klassik-Ausbildung habe ich das Gefühl für lange Bögen und das Phrasieren bekommen, während ich dank Jazz und Improvisation wiederum mehr Freiheiten gefunden habe für das Interpretieren von klassischer Musik.»
Es ist selten genug, dass sich eine Musikerin so selbstverständlich zwischen Komposition und Improvisation, Neuer Musik, Klassik und freiem Spiel bewegt. Kommt dazu, dass sie auch sehr gerne Punk, Garagen-Rock und Psychedelic hört. «Ich bin offen für alle Stile und gehe so oft ich kann an Konzerte. Früher habe ich in der ‹Boa› gearbeitet und viel Punk gehört. Da schlägt mir das Herz immer noch höher.» Zwei Tage in der Woche unterrichtet sie – seit 13 Jahren – an der Musikschule in Oberägeri. «Es macht mich glücklich, etwas weiterzugeben, und ich glaube, die Kinder und Jugendlichen spüren, dass ich voll für die Musik lebe.»
Inzwischen tritt sie auch im Ausland auf und bekommt international sehr gute Kritiken. Sie organisiert in Biel kleine Musikfestivals und engagiert sich neuerdings auch als Präsidentin der Werkstatt für Improvisierte Musik WIM in Bern für das freie Musikschaffen. Ihre Konzerte und Tourneen organisiert sie selbst. Für ihr aktuelles Album hat sie ein Jahr lang gearbeitet und danach 26 Konzerte im In- und Ausland gespielt.
Dass ihre Einsätze für das Musikschaffen mit viel – auch ehrenamtlicher – Arbeit verbunden sind, nimmt sie in Kauf. Sie habe ihr Leben der Musik verschrieben und nie etwas anderes gewollt, hält sie bestimmt fest. «Das füllt mich aus, und ich geniesse jede Sekunde, die ich spielen kann.»
Mehr über die Pianistin Judith Wegmann auf ihrer Website www.judithwegmann.ch.