Gastbeitrag
Wo sind Kinder mit einer Behinderung am besten aufgehoben?

Der Zugang zu inklusiver Bildung ist ein Menschenrecht. Das Aussondern von Menschen mit einer Behinderung steht im Widerspruch zu den gleichen Rechten und diskriminiert Kinder.

Bruno Achermann*
Bruno Achermann*
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Carl Bossard schrieb in der LZ vom 1. Mai über die Ursachen des Lehrermangels. Er sprach von «Pädagogischen Heiligtümern», über die Lehrpersonen nicht sprechen dürften. Die internationalen Verträge seien unterzeichnet, die Entscheidungen gefallen. Ich meine jedoch, dass es sehr bedeutend ist, über gemeinsame Werte in unserer Gesellschaft, über Menschenrechte zu sprechen, über gleiche Rechte auch in der Bildung für Menschen mit Behinderungen! Nicht nur sprechen, sondern Schritte tun, jetzt.

In der Schweiz, wie in weiteren 177 Ländern, ist die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) rechts­verbindlich. Artikel 24 der BRK verpflichtet die Vertragsstaaten dafür zu sorgen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht haben. Nicht nur das, es sollen wirksame, individuell angepasste Unterstützungs­massnahmen angeboten werden, in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet.

Damit sollen die gleichen Rechte auch für alle Kinder mit Behinderungen ohne Diskriminierung gelten. Der UNO-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist besorgt und empfiehlt in seinen abschliessenden Bemerkungen zum ersten Staatenbericht der Schweiz im März 2022, ein verfassungsmässiges Recht und eine umfassende Strategie für die Umsetzung inklusiver Bildung für alle Kinder mit Behinderungen, einschliesslich Kindern mit geistigen oder psychosozialen Behinderungen und autistischen Kindern, zu entwickeln. Es sei sicherzustellen, dass die Anwendung des Sonderpädagogik-Konkordats und der kantonalen Bildungspolitik nicht dazu führt, dass Kinder mit Behinderungen in Sonderschulen abgeschoben werden können.

Der Zugang zu inklusiver Bildung ist ein Menschenrecht. Das Aussondern von Menschen mit einer Behinderung steht im Widerspruch zu den gleichen Rechten und diskriminiert Kinder. Zentrale menschenrechtliche Begriffe wie «das Wohl», beziehungsweise «die Würde» des Kindes müssen im Lichte des Rechts auf inklusive Bildung verstanden werden. Mitte März fand in Bern die erste Behindertensession statt, danach eine Arena beim Schweizer Fernsehen. Vor wenigen Tagen wurde die nationale «Inklusions-Initiative» gestartet. Es ist jetzt Aufgabe von uns allen, die Behindertenrechtskonvention, neun Jahre nach ihrer Ratifizierung, in Schweizer Recht zu überführen und in «Schulen für alle», für wirklich alle, schrittweise und mutig umzusetzen. Zum Wohle aller.

Hinweis

*Bruno Achermann war Dozent an der PH Luzern und hat eine Weiterbildung für integrative Förderung konzipiert und geleitet. Er ist Mitherausgeber des Standardwerks «Index für Inklusion» (2019).