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«Klatschen alleine reicht uns nicht»: Pflegepersonal steht vor dem Messeareal für bessere Arbeitsbedingungen ein

Es sei Zeit zum Handeln: Rund 25 Pflegefachpersonen machen vor der Kantonsratssession Druck für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Die Forderungen stehen schon lange im Raum, gewinnen aber durch die Coronapandemie an neuer Relevanz.

Pascal Studer
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Wollen bessere Arbeitsbedingungen für die Pflege: die Hebammen Julia Bürgler (links) und Nina Can.

Wollen bessere Arbeitsbedingungen für die Pflege: die Hebammen Julia Bürgler (links) und Nina Can.

Bild: Pascal Studer
(Luzern, 26. Oktober 2020)

Rund 25 Frauen und zwei Männer stehen im Regen vor dem Messeareal – ein Bild mit Symbolkraft. Denn während die Pflegefachkräfte draussen bei garstigem Wetter ausharren, sitzen drinnen die Luzerner Politikerinnen und Politiker und treffen sich zur Kantonsratssession.

«Lasst und nicht im Regen stehen», «Applaus war gestern... Heute ist Zahltag»: In Grossbuchstaben stehen die Parolen der Pflegefachpersonen auf den grossen Kartonschildern. Auch Julia Bürgler hält ein Transparent in der Hand. Die 37-Jährige arbeitet seit sechs Jahren als Hebamme, hat sowohl einen Bachelor in Sozialarbeit als auch einen in «Midwifery» – also als Hebamme. Sie stellt klar:

«Wir fühlen uns ausgenutzt.»

Endlich Herz zeigen für das Gesundheitspersonal

Während der ersten Welle der Coronapandemie waren die Pflegerinnen und Pfleger auch in der Zentralschweiz stark gefordert und haben gezeigt: Sie sind systemrelevant. Damals wurde für sie geklatscht, doch nun drücken sie den Politikerinnen und Politikern Flyer in die Hände. Auf ihnen prangt ein Herz, der Absender ist die Gewerkschaft im Service public (VPOD), welche zusammen mit dem Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) und der Gewerkschaft Syna die nationale Aktionswoche «Gemeinsam mit dem Gesundheitspersonal» initiiert hatte.

Die Forderungen dabei sind klar: Eine Corona-Prämie, mehr Rechte am Arbeitsplatz sowie bessere Arbeitsbedingungen. Es sind Dinge, die nicht neu sind. «Die Forderungen stehen bereits seit Jahrzehnten im Raum», sagt Bürgler. Doch angesichts der wieder grassierenden Coronapandemie sei es jetzt an der Zeit, zu handeln. «Wir wollen endlich gerechte Löhne», betont sie. Bezüglich einer Corona-Prämie sei das Zentralschweizer Gesundheitsbündnis allerdings kritisch – und gibt sich hart. Bürgler betont: «Das wäre eine einmalige Sache. Damit wollen wir uns nicht abspeisen lassen.»

Neben Julia Bürgler steht Nina Can. Sie ist 29 Jahre alt und arbeitet seit vier Jahren als Hebamme. Sie meint: «Wir stehen hier solidarisch mit dem gesamten Gesundheitssystem.» Denn nicht nur Hebammen sind vor dem Messeareal, sondern auch Pflegefachpersonen aus den Bereichen Alterspflege oder Notfall. Can sagt: «Wir stehen täglich unter grossem psychischen und physischen Druck. Die Arbeitsbelastung ist enorm.» Bürgler ergänzt. «Als Hebammen müssen wir täglich auf Situationen vorbereitet sein, welche nahe und teilweise nicht mehr aus dem Kopf gehen.» Für die beiden ist deshalb klar:

«Klatschen alleine reicht uns nicht!»

Seit Jahren Stillstand

Der Bedarf an Pflegefachkräften in der Schweiz steigt in den kommenden Jahren. Wie ein Bericht des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) 2016 zeigte, hat das Gesundheitssystem bis 2030 18'000 zusätzliche Pflegefachpersonen nötig. Aber: Gemäss Bürgler und Can ist der Druck während der Arbeit derart gross, dass sich viele Pflegerinnen und Pfleger nach ein paar Jahren nicht mehr imstande sehen, die Arbeit zu bewältigen. «In achtzig Prozent der Fälle können wir beispielsweise während unserer Schichten keine Pausen machen, arbeiten durch», sagt Can. Die Folge dieser Überlastung sei, dass viele Berufskolleginnen und Berufskollegen ihre Pensen reduzieren würden – oder ihrem Beruf ganz den Rücken kehren. Letztgenanntes Szenario käme schätzungsweise bei rund 10 Prozent der Fälle vor, sagt Can.

Andrea Weber teilt die Einschätzungen der beiden Hebammen. Weber ist Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverband. Sie sagt. «Die arbeitsrechtlichen Forderungen des Obsan-Berichts wurden nicht umgesetzt.» Seit Jahrzehnten herrsche Stillstand. Dabei seien nicht nur die Hebammen, sondern Pflegenden aus der gesamten Gesundheitsbranche am Anschlag. Und das habe Folgen: «Wir bilden Fachkräfte aus, die wir nicht in der Branche halten können. Das ist besorgniserregend», betont Weber.

Weil die Belastung zudem derart hoch sei, könnten die Pflegenden ihre Kompetenzen nicht wie gewünscht anwenden. Die Konsequenz: Die Patientinnen und Patienten leiden, was wiederum am Berufsethos sowie der Fürsorglichkeit der Pflegefachpersonen kratzt. Julia Bürgler sagt: «Wir sehen die Patientensicherheit gefährdet. Es muss jetzt etwas passieren.»

Video: PilatusToday

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Bild: Keystone