Katholische Kirche
Diese Frau kämpft für eine tolerantere katholische Kirche

Die Gemeindeleiterin Monika Schmid fordert die Bischöfe heraus. Sie und viele andere, die die Pfarrei-Initiative unterzeichneten, wollen aufrütteln. Die Kirche soll auch Geschiedene, Schwule, Lesben und Andersgläubige akzeptieren.

Michael Rüegg
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Spürt ein eisiges Lüftchen aus dem bischöflichen Chur: Monika Schmid.

Spürt ein eisiges Lüftchen aus dem bischöflichen Chur: Monika Schmid.

Michael Rüegg

Vergangenen Sonntagabend sprach sie vor der Kathedrale in Chur zu einer Menschenmenge. Und sie sprach Klartext an die Adresse von Martin Grichting, dem Stellvertreter des Churer Bischofs Vitus Huonder: Monika Schmid, Leiterin der katholischen Gemeinde St. Martin in Illnau-Effretikon. Grichting verunglimpfte derweil die kirchliche Basis mit einem Vergleich über stinkende Füsse. Dass katholische Seelsorgerinnen wie sie in der Kirche wenig gelten, hörte Schmid dort nicht zum ersten Mal. Und wohl auch nicht zum letzten.

«Mein Onkel war Priester», erzählt die 55-Jährige. Sprechen kann Schmid, die quasi katholische Pfarrerin ist, genauso gut wie zuhören; ihre Stimme scheint den Raum zu erwärmen. Eine Kirchenlaufbahn war der gebürtigen Adliswilerin trotz «klerikaler» Familienbande nicht in die Wiege gelegt. Ihre Eltern - «liberal katholisch» - überlassen der Tochter die Wahl der Schule. Diese entscheidet sich für das katholische Mädcheninternat der Baldegger Schwestern - aus völlig freien Stücken, wie sie sagt. Der Glaube, er fasziniert Schmid schon als Kind: die Rituale, die Mystik.

«So geht das nicht»

Schmid wird Kindergärtnerin in einem Luzerner Dorf. Als sie bemerkt, dass der dortige Pfarrer Woche für Woche die Kinder abkanzelt, sagt sie ihm klipp und klar: «So geht das nicht!» Der Mann lädt sie zum Gespräch ein: «Es kam heraus, dass er gar nie Priester werden wollte, aber als dreizehntes Kind einer Familie blieb ihm wenig anderes übrig.» Der selbstkritische Pfarrer räumt ihr gegenüber ein, ihm fehle eigentlich das Zeug für den Beruf. «Aber er fand, ich hätte diese Fähigkeiten», so Schmid. Die junge Frau beginnt, sich in der Kirche zu engagieren. Doch bald stellt sie fest, dass ihr das theologische Rüstzeug fehlt. Schmid geht an die Fakultät in Luzern, studiert Religionspädagogik und Theologie.

Nach ihrem Abschluss landet Schmid eher zufällig in Effretikon, wo sie ab 1985 als Pastoralassistentin arbeitet. So heissen Theologen, die Aufgaben des Pfarrers übernehmen, aber keine Priesterweihe haben. Im Kirchenjargon nennt man sie «Laientheologen»; eigentlich eine abwertende Bezeichnung für jemanden, der den gleichen Rucksack mitbringt wie ein geweihter Priester. Von ihrem neuen Chef, dem Pfarrer der Kirchgemeinde, ist die Seelsorgerin begeistert: «Er hatte während des zweiten Vatikanischen Konzils studiert, einer Zeit des Aufbruchs und der grossen Veränderungen in der Kirche.» Schmid schwärmt von seiner theologischen Klarheit, von spiritueller Tiefe. «Ohne ihn», so die heutige Leiterin der Pfarrei, «wäre ich nie in diesem Beruf geblieben».

Geburtstunde der Pfarrei-Initiative

2005 übernimmt Schmid nach dem Abgang des Pfarrers die Leitung der Gemeinde - erst ad interim, dann mit bischöflicher Missio. Daneben spricht sie im Schweizer Fernsehen das «Wort zum Sonntag» - bis sie in einer Sendung im Jahr 2008 die Kirche wegen ihres Verhaltens im Umgang mit pädosexuellen Priestern kritisiert. Bischof Huonder entzieht ihr umgehend die «Missio canonica», den Verkündungsauftrag, ohne den sie ihre Arbeit nicht verrichten darf. Doch bald darauf krebst Huonder zurück. Von der Zeitschrift «Beobachter» erhält Schmid noch im selben Jahr den Publikumspreis des Prix Courage.

Darum geht es: Die Pfarrei-Initiative

Mit ihren Unterschriften wollen die mittlerweile 500 Seelsorgerinnen und Seelsorger bewirken, dass sich die Kirche «auf ihre Wurzeln im Handeln Jesus besinnt». Auch Geschiedene, Schwule und Lesben oder Andersgläubige sollen in der katholischen Gemeinschaft gleichwertig und willkommen sein. Dies entspricht vielerorts der heutigen Praxis in den Pfarreien, stösst aber in der Doktrin der römischen Kirche auf Ablehnung. Das sei nicht mehr zeitgemäss, finden auch viele geweihte Priester. Die Bischöfe der drei Bistümer Basel, Chur und St. Gallen weisen die Forderungen zurück. Der Churer Bischof Vitus Huonder hat von allen Unterzeichnenden Briefe gefordert, in denen sie sich erklären. Anlässlich einer Protest-Wallfahrt am vergangenen Sonntag haben zahlreiche Seelsorger aus dem Bistum Chur dem Bischof ihre Antworten übermittelt, so auch Monika Schmid, die seit beginn als eine der Sprecherinnen der Pfarrei-Initiative fungiert. (mir)

Vergangenes Jahr wird sie erneut geehrt: Schmid erhält zusammen mit zwei Schweizern und der österreichischen Pfarrer-Initiative den Herbert-Haag-Preis, eine Auszeichnung «für Freiheit in der Kirche». Spontan entsteht der Gedanke, eine Schweizer Initiative ins Leben zu rufen, angelehnt an das Beispiel aus Österreich. Im September ist es so weit. Es ist die Geburtsstunde der Pfarrei-Initiative (siehe Kasten). Die ersten Deutschschweizer Priester, Ordensleute und Laientheologen unterstützen das Begehren - rund 500 sind es bis zum heutigen Tag. Zu viele, als dass die Bischöfe die Bewegung ignorieren könnten.

Aufrütteln, nicht die Kirche spalten

«Wir wollen aufrütteln, aber weder die Kirche spalten noch ihre Strukturen auf den Kopf stellen», sagt Schmid. «Wir finden auch, dass es Bischöfe geben soll.» Nur Bischöfe? Oder auch Bischöfinnen? Schmid lacht: «Es gibt theologisch gesehen absolut keinen Grund, weshalb die Kirche eine Männerdomäne sein soll.» Doch das ist sie. Und die Männerdomäne versteht Schmids Engagement und das ihrer Mitstreiter als Übergriff. Sei dies aus echter Sorge um die kirchliche Tradition oder bloss aus Standesdünkel. Für viele Kleriker in der vatikanischen Hierarchie ist sie nichts weniger als eine Attacke auf die letzten Privilegien und Pfründe.

Bereits kursieren Drohungen, die Bischöfe würden die Unterzeichner der Initiative bestrafen wollen. Vorderhand geht der Dialog jedoch weiter. Vor allem der St. Galler Bischof Markus Büchel, neuer Präsident der schweizerischen Bischofskonferenz, möchte, dass sich die Fronten nicht verhärten. Angst um ihre berufliche Stellung hat Schmid nicht. Ihre Sorge gilt viel mehr den jungen Theologen, die sich der Initiative angeschlossen haben. Diese könnten unter Repressalien, beispielsweise aus Chur, leiden.