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Die Zuger Schwinger begegnen dem Eidgenössischen-Jahr mit Ruhe und Beharrlichkeit

Über den Diskussionen um Geld und Gigantismus rund um das «Eidgenössische» in Zug droht der Sport in Vergessenheit zu geraten. Für so manchen Zuger wird der Anlass den Karrierehöhepunkt bedeuten – in der frühen Saisonvorbereitung ist davon nicht viel zu spüren.

Raphael Biermayr
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Auffällig: Adrian Elsener, Marcel Bieri und Marcel Betschaft (links) sind drei der zwölf Zuger Schwinger, die an Kantonalbank-Filialen prangen. (Bild: Patrick Hürlimann, Zug, 5. März 2019)

Auffällig: Adrian Elsener, Marcel Bieri und Marcel Betschaft (links) sind drei der zwölf Zuger Schwinger, die an Kantonalbank-Filialen prangen. (Bild: Patrick Hürlimann, Zug, 5. März 2019)

Wer hat den Schlüssel? Diese Frage stellt sich eine Handvoll stämmiger Kerle an diesem milden Abend im Februar. Es ist eine kleine Auswahl der besten Zuger Schwinger, die sich freitags in der Schwinghalle Cham zum Verbandstraining treffen. Am nächsten Tag steht der alljährliche Trainingstag in Steinhausen auf dem Programm, weshalb viele das Training auslassen würden, erklärt der Menzinger Peter Elsener den überschaubaren Andrang. Schliesslich trifft Edwin Betschart ein – der Mann mit dem Schlüssel und der Technische Leiter der Zuger Schwinger. Er überwacht die Trainingseinheit. Und er führt die Präsenzliste nach, indem er Name für Name durchgeht und die Schwinger vor ihm im Sägemehl nach den Absenzgründen der Kollegen fragt. Militärdienst und Verletzungen finden sich darunter. Aber auch wegen Engagements im Wagenbau für die Fasnacht verzichten einige auf das Training.

Von diesem Abend aus gesehen, beginnt das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (Esaf) in Zug fast auf den Tag genau in sechs Monaten. Für viele Zuger wird es der Höhepunkt der Karriere sein, sofern sie sich in den kommenden Monaten denn überhaupt dafür qualifizieren. Trotzdem ist zum jetzigen Zeitpunkt alles wie immer, versichert jeder, der danach gefragt wird. Das stimmt nicht ganz, sind die Schwinger doch in den Zuger Gemeinden auf den Fassaden der Kantonalbank-Filialen in der Öffentlichkeit präsent (siehe Box). Doch die Unaufgeregtheit ist typisch für diese Szene. Weil der Fokus darob nicht verloren geht, lautet das Motto gewissermassen «Mit Ruhe und Beharrlichkeit». Die ausgeprägte Gelassenheit ist unter anderem in der Tatsache begründet, dass es sich beim Schwingen um eine ungemein selektive Sportart handelt, in der man – wegen der Gangeinteilung – stets auch auf Glück angewiesen ist. Ausserdem haben die meisten Athleten über Jahre gelernt, zu verlieren: Schon im Alter von 16 erfolgt der Übertritt vom Nachwuchs zu den Aktiven, Gewichtsklassen gibt es keine. Von Ausnahmeerscheinungen abgesehen, bedeutet das für die jungen Männer, in den ersten Jahren Sägemehl zu fressen. Wer sich davon nicht entmutigen lässt, lernt Geduld.

Schwingen ist eine Freizeitbeschäftigung

Die Zuger Spitzenschwinger arbeiten auch im Jahr des Esaf in der Regel in einem 100-Prozent-Pensum. Auf die Idee, während der Vorbereitung zu reduzieren, wie es mancher nationale Spitzenathlet tut, kommt fast niemand. «Es ist und bleibt ein Hobby für mich», sagt der Zimmermann Peter Elsener (32) stellvertretend für die meisten. Sein Klubkollege von SK Ägerital, Marcel Bieri (24), ist da eine Ausnahme. Der Primarlehrer hat sein Wochenpensum um zwei Stunden reduziert. Allerdings nicht in erster Linie wegen des Schwingens, sondern um einen Nachmittag zur Unterrichtsvorbereitung freizuhaben, erklärt er. Als Nicht-Handwerker ist Bieri ohnehin ein Sonderling in der Schwingerszene, auch in der zugerischen. Gemäss dem technischen Leiter Edwin Betschart hat Bieri deshalb einen Vorteil. Körperlich Arbeitende seien nämlich durch ihre Tätigkeit einseitig trainiert.

Der Zuger Schwingerverband hofft am «Heim-Eidgenössischen» auf eine ähnlich grosse Zahl von Aktiven wie vor drei Jahren in Estavayer-le-Lac, damals waren es zehn. Die Selektion für die diesjährige Auflage erfolgt am 18. Juli. Vier der 18 Schwinger, die regelmässig am Verbandstraining teilnehmen, gehören dem Förderprogramm «Zugpferde» des Innerschweizer Verbands an, der mit 85 Startern fast einen Drittel der Teilnehmer in Zug stellen wird. Neben den erfahrenen Marcel Bieri (Edlibach, 24 Jahre/22 Kränze), Pirmin Reichmuth (Cham, 23/10) und dessen Bruder Marco Reichmuth (Cham, 21/9) findet sich mit Christian Bucher (21/2) aus Finstersee ein viel versprechender ehemaliger Jungschwinger in diesem Talentpool.

Edwin Betschart traut Bucher in Zug durchaus einen Exploit, also einen Kranzgewinn, zu. Als Aktiver war Betschart (48) an drei Eidgenössischen Schwingfesten im Einsatz und ist im neunten Jahr in aktueller Tätigkeit. Während er im Training die Gangzeit von 3 Minuten mehr oder weniger aufmerksam stoppt, sagt Betschart, auf die aussichtsreichsten Zuger Kranzkandidaten am Esaf angesprochen, nicht Überraschendes. Er sagt es laut genug, dass es alle in der Schwinghalle hören können. Vor den Kopf gestossen ist davon keiner im Raum, denn eine gesunde Selbsteinschätzung gehört ebenfalls zu den Schwingertugenden. Nach Betscharts Einschätzung sind Pirmin Reichmuth und Marcel Bieri die grössten Zuger Trümpfe auf Eichenlaub. Reichmuth schaffte das als Einziger aus dem Kanton bei der Austragung 2016. Er gewann am vergangenen Sonntag den Hallenschwinget in Sarnen (siehe gestrige Ausgabe), nachdem der oft Verletzte wieder einmal Pech gehabt hatte: Der Physiotherapiestudent schnitt sich beim tageweisen Arbeiten in seinem Lehrberuf als Metzger in den Finger. Das zweite Zuger Aushängeschild, Marcel Bieri, gewann 2017 das Zuger Kantonalfest. Er verpasste die Kranzränge am Esaf vor drei Jahren nach verlorenem letzten Gang um einen halben Punkt.

Wicki tritt in Rotkreuz an

Eidgenössisches Schwingfest hin oder her: Auch während der weiteren Saisonvorbereitung verläuft die meiste Zeit alles nach dem Motto «Courant normal». Beim 100. Zuger Kantonalfest vom 5. Mai in Rotkreuz, wo auch der stärkste Innerschweizer Joel Wicki (Sörenberg) teilnehmen wird, wird es für viele das erste Mal ernst gelten. Und wie jedes Jahr gilt es, bis zum Innerschweizer Fest – dieses Jahr findet es am 7. Juli in Flüelen statt – in Form zu sein. Aussergewöhnlich wird es erst wenige Wochen vor dem Esaf. Am ersten Augustwochenende werden die selektionierten Zuger mit den weiteren Innerschweizern auf der Klewenalp und in Sörenberg das Eidgenössische simulieren. Wie vor eingangs erwähntem Training vor der Chamer Schwinghalle werden sie auch dort nach einem Schlüssel Ausschau halten: dem Schlüssel zum Erfolg.