Mein Olten
Olten klebt

Unsere Autorin war auf Streifzug und berichtet, was Menschen denn so an Laternenkandelaber und andere Orte hinpappen.

Rebekka Salm
Rebekka Salm
Drucken
Nicht nur Hunde markieren.

Nicht nur Hunde markieren.

zvg

Ein Hund markiert sein Revier, indem er an Laternenpfähle pinkelt. Die Duftnote, die auf diese Weise verteilt wird, gibt den Artgenossen zudem Auskunft über das Alter, die Gesundheit und das Geschlecht des Vierbeiners.

Menschen markieren ihr Revier, indem sie Aufkleber auf Laternenpfähle pappen. So zumindest erkläre ich mir die Tatsache, dass die Strassenlaternen und -schilder in meinem Olten so zahlreich und bunt beklebt sind.

Das Interessante dabei ist, was da alles auf diesen Aufklebern steht. Haben Sie sich das mal angesehen? Tun Sie das, es lohnt sich. Es gibt da zum einen die Werbekleber. Bei meinem Spaziergang durch Olten fand ich einige, die Kleider- und Schuhgeschäfte anpriesen. Mengenmässig ganz vorne mit dabei war der «Hinterhof Olten – ­Secondhand and more».

Ganze zwölf davon habe ich gezählt und mich gefragt, ob es begeisterte Kundinnen und Kunden waren, die – nach ­erfolgreichem Einkauf gebrauchter Kleider vom Glückshormon Dopamin berauscht – die Laternenpfähle schmückten, also quasi ebenfalls neu einkleideten? Oder ob das vielmehr eine Marketingstrategie vom Hinterhof Olten selbst ist. Denn Laternenpfähle sind definitiv günstiger als Plakatwände.

Dann gibt es die Fankleber. Vor meinem Spaziergang von Strassenlaterne zu Strassenlaterne hätte ich angenommen, dass in Olten ausschliesslich Eishockeyanerinnen und Eishockeyaner leben, alles eingefleischte Fans des EHC Olten. Glaubt man den Aufklebern, stimmt das aber ganz und gar nicht. Ich fand nur einen einzigen, der mit dem sinnigen Slogan «Scheiss Langenthal» klarmachte, was man vom bislang grössten Konkurrenten der hiesigen Mannschaft hält.

Viel öfter fand ich Liebeserklärungen für Fussballklubs. An der Spitze der gezählten Aufkleber (und gleichzeitig der Super-League-Tabelle) standen die Berner BSC Young Boys. Am zweithäufigsten leuchtete mir das rot-blaue Vereinswappen des FC Basel entgegen, dessen Fans – was mich wiederum zur Analogie mit den pinkelnden Hunden zurückführt – ihre Kleber einfach über die gelb-schwarzen der Konkurrenz pappten und somit das Revier neu markierten. Auch von Jesus fand ich Fankleber. Allerdings deutlich weniger als von Fussballklubs.

Manche der geklebten Mitteilungen fand ich kryptisch, andere wiederum amüsant. In die erste Kategorie fielen solche mit dem Aufdruck «FCK CRN». Auf der Suche nach der Bedeutung dieser sechs Konsonanten habe ich mir das Hirn zermartert. Ich kannte bereits FCK NZS (Fuck Nazis) und «FCK CPS» (Fuck Cops), aber FCK CRN? Was zum Geier sollte da gfckt werden? Eine Steinpyramide (Cairn)?

Kaum. Mais oder Hühneraugen (Corn)? Zumindest Letzteres hätte ich verstehen können. Google half mir zum Glück weiter: FCK CRN steht für «Fuck Corona». Ich bin mir nicht sicher, ob diese Aufkleber dieselbe Wirkung gegen das Virus haben wie Masken, Händewaschen oder gar Impfungen, aber man kann ja nie wissen.

Ähnlich konsonantenlastig und gehässig ist das «ACAB» (All Cops Are Bastards), das auf der Holzbrücke am Geländer klebte. Und in der Nähe des Bahnhofs fand ich dann einen Aufkleber mit der Aufschrift «MIGROS – All Coops Are Bastards». Das fand ich witzig (wenn ich auch nicht verstehe, was alle gegen die armen Polizisten haben). Wer zum Geier hat sich denn so was einfallen lassen? Die Marketingabteilung der Migros wird es nicht gewesen sein. Schade eigentlich, denn diesen Slogan finde ich deutlich markiger als das altbekannte «Ein M besser».

Man könnte sich jetzt fragen, was das alles soll. Wieso zum Geier soll man lesen, was andere ungefragt in die Oltner Landschaft kleben? Ganz ehrlich, das muss man nicht. Aber es ist wie bei den Hunden: Man erfährt bei der Lektüre viel über das Alter, die mentale Gesundheit und die Themen, die unsere Artgenossen zurzeit bewegen – zumindest der­jenigen, die in ihrer Begeisterung oder Not zu Aufklebern greifen.

Rebekka Salm lebt in Olten, ist Texterin und Moderatorin