Am 25. September entscheidet die Schweizer Bevölkerung über die Zukunft der Schweizer Nutztierhaltung. Zwei betroffene Landwirte zeigen auf, welche konkreten Folgen die «Initiative gegen Massentierhaltung» für ihre Betriebe hätte – und weshalb sie den Hebel andernorts ansetzen wollen.
Jürg Bärtschi kontrolliert täglich den Bestand im Stall, den er gemeinsam mit zwei anderen Landwirten in Rüti bei Lyssach (BE) führt. 17'213 Hühner sind es, die an diesem Dienstag in der rund 900 Quadratmeter grossen Halle leben. Sie sind gerade einmal 20 Tage alt, ein Huhn bringt zu diesem Zeitpunkt knapp ein Kilo auf die Waage. Damit Bärtschi die gesetzlichen Vorgaben einhalten kann, ermöglicht er seinen Hühnern ab dem 22. Tag Zugang zum Wintergarten und stellt ihnen einen Viertel mehr Fläche zur Verfügung. Zusätzlich nimmt er am 30. Lebenstag rund 5000 Hühner aus dem Stall und verkauft sie als Grillpoulet. Nur so bleibt Bärtschi unter dem maximal erlaubten Pouletgewicht pro Quadratmeter.
Sind die Masthühner 35 Tage alt, werden sie mit einem Gewicht von etwas mehr als 2 Kilogramm zum Schlachthof gefahren und zu Pouletbrust, Flügeli und Pouletschenkel verarbeitet. Später landen sie in den Migros-Regalen und werden als Optigal-Poulet verkauft.
Landwirt Jürg Bärtschi produziert seit über zwanzig Jahren Pouletfleisch. Würde die Massentierhaltungs-Initiative angenommen, dann wäre es vorbei damit: «Ich würde die Pouletmast aufgeben, alles andere würde sich nicht lohnen und liesse sich auf unserem Betrieb gar nicht umsetzen», so der 55-jährige Berner, der seit fünf Jahren als Vorstandsmitglied im Schweizerischen Bauernverband die Geflügelproduzenten vertritt. Tatsächlich hätte die Initiative, die eine Orientierung der Tierhaltebestimmungen an den Bio-Suisse-Richtlinien 2018 fordert, vor allem für Hühner- und Schweinehalter teils einschneidende Auswirkungen.
So dürfte beispielsweise Bärtschi nur noch maximal 2000 Tiere à Herden von 500 Hühnern halten, und geschlachtet werden dürften sie erst nach frühestens 63 Tagen. Kurzum: Das Geschäftsmodell von Bärtschi ginge nicht mehr auf – ausser er erhielte mehr Geld für seine Mastpoulet. Doch genau hier sieht der Landwirt ein Problem: «Wenn das Poulet in der Schweiz teurer wird, dann müssen wir noch mehr Fleisch aus dem Ausland importieren.» Dabei sei es in den letzten Jahren gelungen, den Selbstversorgungsgrad beim Pouletfleisch auf 65 Prozent zu steigern. Angesprochen auf die Importrichtlinie, die gemäss Initiativtext vorgesehen ist, so sagt Bärtschi, dass er eine solche für «undurchführbar» hält.
Auch Schweinezüchter Matthias Zysset aus Kirchdorf (BE) müsste bei einer Annahme der Initiative über die Bücher. Der junge Familienvater hat den Betrieb am Rande des Dorfes erst vor wenigen Jahren von seinem Vater übernommen und 2018 um- und ausgebaut. Unterdessen hält Zysset rund 110 Muttersauen, deren Ferkel er anschliessend an die Schweinemastbetriebe weiterverkauft.
Die Art und Weise, wie Zysset seinen Hof führt, darf getrost als innovativ bezeichnet werden, wie ein Besuch vor Ort bestätigt. Der Stall, in dem die Muttersauen untergebracht sind, ist zentimeterhoch mit Stroh eingestreut, im Aussenbereich läuft bei warmen Temperaturen alle dreissig Minuten eine Sprühanlage und jedes Tier erhält seine Futterportion separat – «damit alle genau diese Nährstoffe erhalten, die sie brauchen», sagt Zysset. Ressourceneffizienz nennt man das im Fachjargon.
Dahinter steckt eine persönliche Überzeugung: «Ich will, dass es meinen Tieren gut geht und überlege stets, was ich bezüglich Tierwohl und Umweltauswirkungen noch verbessern kann», so der 33-Jährige. Aktuell produziert der Landwirt für Lidl, das Schweinefleisch wird unter dem Label «Terra Natura» verkauft. Zysset erfüllt allerdings nicht nur die Minimalanforderungen, wie er im Gespräch erzählt: «Viele Dinge auf unserem Betrieb gehen über die Vorschriften hinaus. Ich mache das freiwillig, weil ich meinen Schweinen Sorge tragen will.» Zu diesen Extras zählt beispielsweise der zusätzliche Platz, den die Muttersauen nach der Geburt ihrer Ferkel erhalten, oder auch die Unterflurlüftung, welche im Stall für angenehme Temperaturen sorgt.
Doch sollte die «Initiative gegen Massentierhaltung» angenommen werden, reichen auch die freiwilligen Massnahmen nicht aus, um die Vorschriften der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 zu erfüllen. Zysset hätte verschiedene Möglichkeiten. Einerseits könnte er seinen Bestand reduzieren. Andererseits könnte Zysset auch die Zahl der Tiere verdoppeln und den Hof massiv vergrössern. Denn bei Schweinen gibt es selbst in den Biorichtlinien keine Höchstbestände, vorgeschrieben ist lediglich der Platzbedarf pro Tier. «Dass hier also die Rede ist von einer Initiative gegen die Massentierhaltung, macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Das hat nichts mit der Anzahl der Tiere zu tun», so Zysset.
Was dem zweifachen Vater in der Tierwohldebatte besonders missfällt, ist die Doppelmoral der Konsumentinnen und Konsumenten: «Viele fordern strengere Tierschutzrichtlinien, greifen dann aber im Regal trotzdem zu der billigeren Variante und nicht zum Label-Produkt.» Das sei gerade beim Schweinefleisch ein grosses Problem. Tatsächlich muss rund die Hälfte des nach Labelstandards produzierten Fleischs zum Preis von Fleisch aus konventioneller Tierhaltung verkauft werden –, weil die Nachfrage fehlt. Für Zysset ist deshalb klar: «Wenn sich der Konsum ändert, dann ändern wir Landwirte unsere Produktion. Schliesslich wollen wir das produzieren, was nachgefragt wird.»