Frauenstreik
«Eine Gesellschaft kann nur gut funktionieren, wenn alle gleichgestellt sind»: Kundgebung in Frauenfeld auch für Personen aus LGBTQA+-Szene

Das Feministische Streikkollektiv organisiert für den 14. Juni einen «Frauen*streik» in Frauenfeld. Das Gendersternchen wurde bewusst gewählt. Der Stern signalisiert, dass sich die Kundgebung ebenso an Personen aus der LGBTQA+-Szene richtet. Die Themen sind im Vergleich zum ersten Frauenstreik weitgehend gleichgeblieben.

Judith Schuck
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Im Dienst der Frauen: Sina Weibel (links) und Anna Villiger (Mitte) vom Feministischen Streikkolletiv mit Annina Villiger von der Frauenzentrale.

Im Dienst der Frauen: Sina Weibel (links) und Anna Villiger (Mitte) vom Feministischen Streikkolletiv mit Annina Villiger von der Frauenzentrale.

Bild: Andrea Tina Stalder
(23. Mai 2022)

Gleichberechtigung, Lohngleichheit, Armut – dies sind Anliegen, für die Frauen seit Jahrzehnten kämpfen. «Die Themen sind sehr generell, aber die Umsetzung ist noch nicht vollkommen», sagt Annina Villiger. Im nationalen Parlament werde gerade über die Schwelle der zweiten Säule diskutiert. Auch im Sexualstrafrecht stehen Änderungen an, alles allerdings sehr schleppend. Sie selbst sei zwar nicht so kämpferisch veranlagt, «aber ohne Druck passiert oft nichts».

«In den Städten hat sich der Frauenstreik weiterentwickelt»

Vor drei Jahren organisierte Annina Villiger als Präsidentin der Frauenzentrale Thurgau im Zuge der nationalen Bewegung zum 14. Juni 2019 erstmals den Frauenstreik in Frauenfeld mit. «Damals waren die Teilnehmenden eher älter», sagt Annina Villiger, teils aus der frühen Frauenbewegung.

Heute steht sie dem neuen Organisationskomitee mit Anna Villiger, mit der sie nicht verwandt ist, und Sina Weibel unterstützend zur Seite. «In den Städten hat sich der Frauenstreik weiterentwickelt. Wir finden es wichtig, dass die jungen Leute die Bewegung aufleben lassen», auch wenn die Frauenzentrale selbst eine politisch unabhängige Gruppierung sei.

Gendersternchen führte zu Reibereien in der Bewegung

Der diesjährige Streik am 14. Juni in Frauenfeld liegt in den Händen des Feministischen Streikkollektivs. Für die Schreibweise ist gezielt eine Form mit Gendersternchen gewählt worden: Frauen*streik. Anna Villiger vom Feministischen Streikkollektiv erklärt warum:

«Die Themen sind im Vergleich zum ersten Frauenstreik gleichgeblieben. Wir unterschreiben die Forderungen zu Hundert Prozent. Aber das Thema Gleichberechtigung ist bei uns ein bisschen grösser.»

Der Stern signalisiert, dass sich die Kundgebung ebenso an Personen aus der LGBTQA+-Szene richtet.

Anna Villiger, Annina Villiger und Sina Weibel wünschen sich mehr junge Frauen am Frauen*streik am 14. Juni.

Anna Villiger, Annina Villiger und Sina Weibel wünschen sich mehr junge Frauen am Frauen*streik am 14. Juni.

Bild: Andrea Tina Stalder

Vor drei Jahren habe sich beim Streik in Frauenfeld bereits eine Gruppe von Gehörlosen angeschlossen, erinnert sich Annina Villiger. «Sie brachten auch ihre Forderungen ein. Wir finden, jede Person muss sich in unserer Gesellschaft wohlfühlen können.» Der neue Anstrich durch die jüngere Generation ging an der Thurgauer Bewegung allerdings nicht ganz reibungslos vorbei. Das Sternchen habe Diskussionen ausgelöst und zu Abmeldungen von Gruppierungen geführt, sagt die Präsidentin der Frauenzentrale. Anna Villiger vom neuen OK erklärt:

«Der Feminismus-Begriff und das Sternchen wird von einigen als sehr links und extrem angesehen.»

Das sei sehr schade, «denn das Sternchen steht doch für Inklusion». Hier hiess es, einen Kompromiss zu finden. «Wichtiger als der Begriff ist die Idee dahinter», findet Annina Villiger. Sie ist froh, dass Sina Weibel und Anna Villiger kurzfristig eingesprungen sind, um eine bereits aufgegleiste, von einem ursprünglichen Team aber nicht weiterverfolgte Planung zu übernehmen.

Das Programm

14. Juni in Frauenfeld

17.30 Uhr: Treffpunkt am Unteren Mätteli. Ansprachen von Regierungspräsidentin Cornelia Komposch und Grossratspräsidentin Barbara Dättwyler sowie teilnehmenden Gruppierungen. Trommler-Duo Goraiko. Input von Samantha Zaugg, Journalistin und Künstlerin aus Frauenfeld. Verpflegung. Anschliessend Marsch zum Dreiegg.
Ab 20 Uhr im Dreiegg: Poetry-Slam mit Martina Hügi, DJ-Set Jasilane und YPB.

Um 17.30 Uhr ist Treffpunkt auf dem Unteren Mätteli in Frauenfeld. Verschiedene Gruppierungen werden dort ihre Forderungen verkünden oder sie an Regierungsratspräsidentin Cornelia Komposch und Grossratspräsidentin Barbara Dätwyler überreichen.

Es wird noch nicht genug getan

Im Thurgau sind bereits viele wichtige politische Posten von Frauen besetzt. Bis zum kürzlichen Rücktritt Carmen Haags als Regierungsrätin, hatten die Frauen dort eine Mehrheit inne. Damit ist es aber nun vorbei. Anna Villiger sagt:

«Es ist wirklich schade, wenn Leute glauben, es werde schon genug für Frauen und queere Personen unternommen.»

Anna Villiger vermutet, dass sich gerade ältere Frauen nicht genug bewusst sind, dass sie für ihre Rechte einstehen dürfen. Annina Villiger glaubt, das habe etwas mit Sensibilisierung zu tun:

«Vielleicht müssen manche Frauen erst aufgeweckt werden.»

Auch im bürgerlichen Milieu gebe es kämpferische Menschen, die sich für mehr Wertschätzung von Care-Arbeit und Vereinbarkeit von Karriere und Familie einsetzen.

Sina Weibel äussert sich als junge Mutter: «Beim Thema Kinder muss noch viel passieren. Zwar gibt es viele privilegierte Mütter, bei denen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gut funktioniert.» Es sei aber insgesamt wichtig, dass auch diejenigen, die nicht von Problemen betroffen seien, für weniger Privilegierte einstünden. «Solidarität, Mitdenken und Offenheit», zählt Annina Villiger die Grundprinzipien des Streiks auf, und ihre jüngere Kollegin Anna Villiger ergänzt:

«Eine Gesellschaft kann nur gut funktionieren, wenn alle gleichgestellt sind.»