Neuer Landesmantelvertrag
Bauarbeiter verlangen besseren Schutz und «Stopp des Stundenklaus»

Ende Jahr läuft der Landesmantelvertrag im Bau aus. Für die Zeit danach fordern die Bauarbeiter mehr Schutz und einen «Stop des Stundenklaus». Anders die Baumeister: Sie wollen die Arbeitsbedingungen lockern.

Samuel Thomi
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Die Gewerkschaften Syna und Unia – im Bild eine Demo 2015 in Zürich für einen besseren Landesmantelvertrag – fordern ab 2023 weitere Verbesserungen.

Die Gewerkschaften Syna und Unia – im Bild eine Demo 2015 in Zürich für einen besseren Landesmantelvertrag – fordern ab 2023 weitere Verbesserungen.

Keystone

Vor bald vier Jahren sind die Bauarbeiter letztmals zu Tausenden auf die Strasse gegangen. Schliesslich haben sich Gewerkschaften und Baumeister doch noch gefunden. Nun haben neue Verhandlungen begonnen über den Landesmantelvertrag (LMV) im Bauhauptgewerbe. Dieser legt minimale Arbeitsbedingungen für die rund 80’000 Bauarbeiter in der Schweiz fest. Nach einer Abstimmung bei ihren Mitgliedern verlangen Unia und Syna ab 2023 Verbesserungen beim Schutz der Mitarbeitenden sowie einen «Stop des Stundenklaus» bei Reisezeit und Schlechtwetter. Das erklärten die Gewerkschaften am Dienstag vor den Medien in Bern. Anders die Baumeister: Sie wollen bestehende Arbeitsvorschriften lockern.

«Dieses Jahr geht es für die Bauarbeiter um sehr viel», wird Nico Lutz, Verhandlungsleiter und Bauverantwortlicher der Unia, in einer Mitteilung zitiert. Bei einer im Herbst durchgeführten Abstimmung habe die grosse Mehrheit der über 17'500 Teilnehmer für einen besseren Schutz bei schlechtem Wetter, kürzere Arbeitstage (40-Stunden-Woche), bezahlte Pausen und mehr Ferien sowie doppelt so viele Toiletten auf den Baustellen votiert, schreiben die Gewerkschaften. Zudem solle die Anreise vom Betrieb zur Baustelle voll vergütet werden. «Heute wird jeden Tag eine halbe Stunde gar nicht bezahlt, was rechtswidrig ist», so Unia und Syna. Damit leisteten Bauarbeiter pro Jahr bis zu 100 Stunden Gratisarbeit.

Droht vertragsloser Zustand?

«Von den Vorteilen der guten konjunkturellen Aussichten spüren die Bauarbeiter leider nicht viel», sagt Johann Tscherrig, Branchenverantwortlicher Bau der Gewerkschaft Syna. Dabei werde der Personalbedarf mit dem absehbaren Bau-Boom im Bauhauptgewerbe bald weiter ansteigen. Womit sich der bereits bestehende Fachkräftemangel in der Branche «kurzfristig noch akzentuieren» werde.

Statt in das noch vorhandene Personal zu investieren, um weitere Abgänge zu vermeiden, verlange der Baumeisterverband «längere Arbeitstage, noch mehr Überstunden und gleichzeitig Lohnabbau», kritisieren die Gewerkschaften. Und der Baumeisterverband habe schon letzten Herbst öffentlich mit einem vertragslosen Zustand gedroht, falls die Bauarbeiter nicht auf ihre Abbau-Forderungen eingehen.

Baumeister wollen weniger Vorschriften

«Um attraktive Arbeitsplätze gerade auch in abgelegenen Regionen erhalten zu können, ist es wichtig, dass wir mit den Gewerkschaften auch flexible Arbeitszeitmodelle besprechen können», sagte Bernhard Salzmann, stellvertretender Direktor des Baumeisterverbands, gleichentags zu Radio SRF. Gerade auch von den Leitern der Baustellen komme der Ruf dazu. Für Poliere seien Flexibilität bei Arbeitszeiten, Planungsqualität von Bauherren und Wertschätzung der individuellen Leistung wichtiger, verwies Salzmann auf eine eigene, vergangenen Dezember publizierte Umfrage unter Baumeistern.

Wie die Gewerkschaften am Dienstag vor den Medien informierten, haben die Verhandlungen über einen neuen Landesmantelvertrag bereits am Montag begonnen. Bis im November seien sieben Verhandlungsrunden geplant. Über das Ergebnis dieser Gespräche sollen dann die Mitglieder respektive Delegierten der Gewerkschaften und Baumeister entscheiden.

Das Baugewerbe hat Corona bereits abgeschüttelt

Das Schweizer Baugewerbe hat sich im vergangenen Jahr von der Coronakrise weitgehend erholt. Wie der Baumeisterverband bereits vergangene Woche mitteilte, bietet die Branche auch wieder gleich viele Stellen an wie vor der Pandemie. Der Umsatz ist 2022 demnach um 4,5 Prozent auf 23,1 Milliarden Franken gestiegen.

Real sei dieser Betrag jedoch weniger stark gestiegen, als es die nackten Zahlen vermuten lassen, schrieb der Baumeisterverband weiter. Denn ein Teil des Zuwachses sei auf höhere Materialpreise zurückzuführen. Dennoch sind die Aussichten für die Branche besser als auch schon: Der Bauindex, den der Verband gemeinsam mit der Schweizer Grossbank Credit Suisse errechnet, prognostiziert der Branche für das laufende Jahr trotz Unsicherheit ein Umsatzplus von 2,1 Prozent. Abgesehen von einigen Tauchern wächst die Schweizer Bauwirtschaft damit seit 2004 kontinuierlich.