Leserbrief
Im Reich der Zwecke...

«Wo sind die Grenzen des Wachstums?» und «Wem nützt das Zuger Wachstum?», «Zuger Zeitung» vom 8. Juli

Drucken

«Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde.» Gleich mehrere Zeitungsartikel in diesen Tagen verweisen mich auf diese Worte Immanuel Kants. Eigentlicher Denkstachel aber war mir die Kolumne «Kindergeschrei» eines Theologen in der «Zuger Presse» vom 11. Juli. Darin wird erzählt, wie ein Klassenlehrer sich jeden morgen als Begrüssung vor seinen Knirpsen verneigte.

Motiv zu dieser Achtungsgeste sei, so wird da berichtet, die Möglichkeit, dass sich unter der Kinderschar vielleicht ein künftiger Professor, Arzt, Richter oder ähnlich erfolgreicher befinden könnte. Nein, Pfarrer kam in der Aufzählung leider nicht vor. All die potenziellen Loser und Versager in der Klasse – ja nu! In der «Chefsache» von Harry Ziegler, aber auch in Luzian Franzinis Nützlichkeitsfrage des Zuger Wachstums klingen Zweifel an der Dienlichkeit überdurchschnittlichen Erfolges an und zeugen von Voraussicht, einer für Politiker unerlässlichen Eigenschaft.

Im Reich der Zwecke, und mit deren Optik ausgestattet, ist es einsichtig, dass allein die materiellen Negativaspekte von Erfolg gesehen werden, wie Wohnungsnot oder Infrastruktur-Überforderungen, eben «Preise», die wir für den Erfolg zu entrichten haben. Von den immateriellen Nachteilen einer Monokultur von Erfolgreichen, mit ihrer arroganten Durchsetzungsmentalität, dem «Aussen hui und innen pfui», ist nicht die Rede. Negative Folgen mentaler Art erscheinen in keiner Statistik, es sei denn in der Statistik steigenden Kokainkonsums («Zuger Zeitung» vom 13. Juli), psychischer Erkrankungen, Suizidraten und anderen Krankheitserscheinungen.

Den Beweis eines Zusammenhangs mit dem Zuger Maximalerfolgsstreben bleibe ich schuldig. Den Beweis für die Priorisierung des «Preises», in unserer Haltung gegenüber der Würde als Wertmerkmal des Menschen, glaube ich exemplarisch aus der Kolumne des Theologen erkennen zu können. Franzinis vom Kantonsrat negierter Appell wurde leider kaum als «Zeichen an der Wand» gesehen oder eben, einschlägig interpretiert. Nicht ein relativer Wert, wie es ein Preis ist, sollte einer Haltung der Gesetzgebung zu Grunde liegen, sondern Würde.

Woher aber das Sensorium für Würde, wenn nicht aus dem Glauben an die Gottähnlichkeit des Menschen? Ob dieses Sensorium aus dem noch erwachsen kann, was heute als Religion bezeichnet wird – übrigens auch ein erfolgreiches Fiskalmodell in unseren Breiten – daran zweifle ich. Hier würde ich ansetzen in Erziehung, Schule, Katechese; mögliche Frucht dieser Formation: eine Politik des weisen Vorausschauens.

Hans Arnold-Bürgi, Rotkreuz