«Rund um die Uhr geöffnet», Ausgabe vom 4. August
Je nach Quelle soll Feuerbach oder Paracelsus gesagt haben: «der Mensch ist was er isst.» Abgesehen davon, dass die Ursprünge von Zitaten immer eine sehr unsichere Sache sind, zeigt der Satz, dass Essen mehr als Nahrungsaufnahme ist. Es ist Kultur, die Kultur des Geniessens und es ist vor allem eine Kultur der Aneignung. Fast nichts, was wir heute essen, ist nicht angeeignet und ich staune immer wieder, wie Vertreter der Woken keine Mühe haben, zum Chinesen oder Italiener essen zu gehen. Selbst ein Hamburger ist angeeignet. Insofern kann man Pierre Bourdin recht geben, der bezüglich des Essens von importierter Kultur redet.
Essen hat auch viel mit den Werten zu tun, die wir vertreten. Der Niedergang der Esskultur begann mit dem Rationalisierung- und Hygienewahn und vor allem mit dem Gesundheitswahn. Wenn ich die Auslagen in den sogenannten Comestibles-Abteilungen wirklich guter Warenhäuser oder Märkte betrachte und mich ab der Vielfalt der Delikatessen oder auch als Feinkost bezeichneten Nahrungsmittel erfreue, kommt sicher einer vorbei und motzt über diesen unnötigen Luxus. Abgesehen davon, dass er keine Ahnung hat, was er verpasst, verwechselt er zwei Dinge. Delikatessen und Feinkost sind Bestandteil der Kultur, und Luxus ist es nur selten, denn Luxus ist von stammt vom lateinischen Luxus ab was für Verschwendung, Liederlichkeit und üppige Fruchtbarkeit steht. Wie immer ist es eine Frage des Masses, aber dies zu erkennen, dafür bedarf es Kultur und nicht Neid oder Vorurteil. Je mehr ich mich mit dem Leben beschäftige, desto mehr merke ich, dass uns die Kultur abhandengekommen ist. Ich habe Angst, dass wir sie nicht mehr finden werden, vor lauter Geldgier und Neid.
Deshalb stört es mich auch, dass das neue Angebot in der Suurstoffi mehr vom Kommerzgedanken geleitet ist als vom Grundgedanken von gesundem biologischem Essen. Es braucht keine Konzernkette mit biologischen Läden, es braucht Bioläden mit einheimischen Produkten – einheimisch, das ist die Gemeinde und nicht die Zentralschweiz. Bio und Konzernkapitalismus beissen sich. Solche 24-Stunden-Bioläden sind unnötig und haben mit dem Biogedanken nichts zu tun.
Michel Ebinger. Rotkreuz