Verhaltensregeln
Vor der Tat hält man Rat

Es kann vorkommen, dass Sie plötzlich von Journalisten über etwas ausgefragt werden. Dafür gibt es Verhaltensregeln. Der Gastkommentar.

René Rhinow*
René Rhinow*
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Strassenumfrage: Interviewte laufen gern Gefahr, ins Plaudern zu geraten. (Symbolbild)

Strassenumfrage: Interviewte laufen gern Gefahr, ins Plaudern zu geraten. (Symbolbild)

Kenneth Nars

Jedem kann es passieren, dass er auf der Strasse oder telefonisch von Medienschaffenden um seine Meinung gefragt wird. Da solche Äusserungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, empfiehlt es sich, gewisse Vorsichtsregeln einzuhalten, um lästigen Streit mit dem Publikationsorgan zu vermeiden.

Vorerst drei Grundregeln vor dem Gespräch: Vergewissern Sie sich, wer von Ihnen eine Auskunft verlangt (Medium, Name des Journalisten, Zweck etc.). Ausnahmsweise ist eine verdeckte Recherche zulässig: wenn ein überwiegend öffentliches Interesse daran besteht oder wenn der Journalist gefährdet würde. Sie haben das Recht, jede Auskunft zu verweigern. Dies gilt auch bei telefonischen Umfragen oder auf der Strasse, wo sich die Antwortenden nicht immer bewusst sind, dass sie abends in der «Tagesschau» erscheinen können. Das Medium hat das Recht, das zu erwähnen («Meier wollte dazu keine Stellungnahme abgeben»). Gewiefte Politiker stellen in einem solchen Fall sicher, dass sie «nicht erreichbar» sind ...

Fragen Sie nach, welcher Art die Befragung ist. Es kann sich um ein Hintergrundgespräch, eine Recherche, ein eigentliches Interview oder um eine Meinungsumfrage handeln. Beim Hintergrundgespräch muss der Journalist Ihre Angaben vertraulich behandeln; er darf Sie gegenüber Dritten nicht erwähnen. Er kann jedoch daraus Hinweise erhalten für weitere Recherchen. Vertrauen in den Journalisten ist geboten. Wenn ein Journalist Recherchen durchführt, so befragt er in der Regel mehrere Personen, von denen er weiterführende Facts oder Meinungen erwartet, um sich ein Gesamtbild zu verschaffen. Klären Sie vor dem Gespräch ab, wie der Journalist Ihre Äusserung verwerten will: als Hintergrund, als eigentliches Zitat oder als indirekte Aussage.

Bestehen Sie darauf, dass Sie sowohl das Zitat als auch die indirekte Erwähnung kontrollieren können (Gegenlesen oder Vorlesen am Telefon). Es besteht hingegen kein Anspruch darauf, den ganzen Text der Recherche und die Äusserungen von anderen Befragten einzusehen. In der Regel muss das mündliche Gespräch in die Schriftform umgegossen und gekürzt werden. Auch hier rate ich, die näheren Umstände und Spielregeln vorweg zu klären: Sind Sie mit einer Tonbandaufnahme einverstanden?

Kann ich frei sprechen, mit der Folge, dass ich auch eine grössere Freiheit für allfällige Korrekturen besitze? Oder muss ich meine Worte sorgfältig abwägen, quasi druckreif sprechen? Interviewte laufen im Zweiergespräch Gefahr, ins «Plaudern» zu kommen und zu vergessen, dass Ihre Antworten für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Beim Interview ist das Gegenlesen Pflicht, gerade auch deshalb, weil durch die kürzenden Umformulierungen Missverständnisse auftreten können. Werden im Interview Dritte schwer kritisiert, müssen diese angehört werden.

Wenn Sie zum Beispiel auf der Strasse oder am Telefon im Rahmen einer Meinungsumfrage angesprochen werden, so ist Vorsicht am Platz. Denn eine nachträgliche Kontrolle gibt es nicht. Fragen Sie nach, wie Ihre Aussage verwendet wird. Verweigern Sie je nach Umständen die Namensnennung. Bei allen Formen der Befragung gilt das Prinzip der Fairness. Medienschaffende dürfen sich keiner unlauteren Methoden bedienen. Das heisst, dass sie Zusagen für das Gegenlesen einhalten und die vereinbarten Konditionen respektieren. Für die Befragten gilt grundsätzlich dasselbe. Sie halten sich an die abgemachten Termine und stehen zu ihren Aussagen. Besser vorher überlegen als nachher sich querlegen!

Probleme können sich stellen, wenn eine befragte Person die nachträgliche Autorisierung des verfassten Textes verweigert, Änderungen vornehmen oder das Interview zurückziehen möchte. Als Regel gilt, dass keine wesentlichen Änderungen vorgenommen, wohl aber offensichtliche Irrtümer und Missverständnisse bereinigt werden dürfen. Die Fairness gebietet es, dass sich – einerseits – der Journalist bemüht, bei der (oft gerafften) Textfassung die Aussagen des Interviewten korrekt wiederzugeben, und dass dieser – anderseits – nicht nachträglich davon abweicht oder gar Fragen streichen will. Bleiben Differenzen bestehen, so kann der Interviewte den Text sperren; dem Journalisten steht es frei, auf das Interview zu verzichten und/oder auf diesen Vorgang indirekt hinzuweisen. Ob ein Interview später, nach erteilter Zustimmung durch den Interviewten, aber vor der Publikation trotzdem zurückgezogen werden kann, ist umstritten und dürfte von den Umständen des Einzelfalls abhängen.

Nach meiner Erfahrung verhalten sich die Medienschaffenden in der Schweiz überwiegend fair. Als Ombudsmann der AZ Medien hatte ich einen einzigen Fall zu beurteilen, bei dem es um solche Fragen ging. Journalisten müssen sich bewusst sein, dass nicht alle Angefragten mediengewohnt sind. Die Angefragten wiederum müssen sich vor ihren Aussagen gut überlegen, was sie wie und gegenüber wem preisgeben wollen, im Bewusstsein, dass sie später dabei behaftet werden. Entgegen dem alten Sprichwort empfiehlt es sich: Vor der Tat hält der Schweizer Rat!

* René Rhinow. Er ist Jurist und FDP-Politiker und war Ständerat für den Kanton Baselland. Er ist Ombudsmann der AZ Medien und wohnt in Liestal.