Leserbeitrag
63. Freiämter Fusswallfahrt – ein herrlicher Tag trotz Regen

Marcel Siegrist
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«Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt.» Nein, unter dieses Motto hat das Organisationskomitee der Freiämter Fusswallfahrt 2013 die diesjährige Wallfahrt nicht gestellt. Schliesslich sollte die Freiämter Fusswallfahrt (FFW) mehr als ein rein sportlicher Wettkampf sein, bei dem am Schluss nur eine Person als Sieger hervorgehen kann.

Und doch scheint dieses Zitat aus dem ersten Korintherbrief des Apostels Paulus als Wallfahrtsmotto nicht ganz so abwegig zu sein. Denn in der Tat gibt es am Tag der FFW immer wieder einen Sieg zu erringen, wenngleich die Kultur des Siegens bei diesem Anlass etwas anders aussieht: Ich nehme den anderen den Siegespreis nicht weg, indem ich ihn erringe. Es gibt nicht einen alleinigen Sieger. Mein Sieg geht nicht auf Kosten anderer. Ich kämpfe nicht gegen die anderen. Vielmehr kämpfe ich als Wallfahrer an diesem Tag mit mir selber, das Ziel vor Augen habend. Am Ziel des Tages, also in Einsiedeln angekommen, darf darum jede und jeder (im Folgenden ist die weibliche Form in der männlichen mit eingeschlossen) stolz auf sich sein und in Form eines Gottesdienstes darauf anstossen, dass der eigentliche Sieg bereits errungen wurde. So kommen nebst dem sportlichen Aspekt auch der soziale und der religiöse Aspekt einer Wallfahrt zum Tragen.

Ungefährdete Durchführung trotz Wetterpech
Immer am letzten Samstag im April ist es wieder so weit: Die Freiämter wandern von Kloster zu Kloster, von Muri nach Einsiedeln, rund 50 Kilometer weit.

Ein erster Kampf mit sich selber begann heuer für viele schon Tage im Voraus. SRF zog für den besagten letzten Samstag im April bereits Tage im Voraus seine bislang bewährte ‚Jokerkarte 2013‘: regnerisches und kaltes Wetter. Und damit sollten die Wetterpropheten Recht behalten, auch wenn die Regenfälle weniger intensiv als befürchtet ausfielen.

Der SAC hätte – aus verschiedensten und guten Gründen – eine Tour bei solch prognostiziertem Wetter bestimmt abgesagt. So mancher Outdoor-Freizeitanbieter hat wohl am Samstag unterm Dach vergeblich auf Kunden gewartet. Und einige Fusswallfahrer dürften ihr Vorhaben auch vom Wetter abhängig gemacht haben und entschieden sich, in diesem Jahre bei der FFW nicht anzutreten. Ganz viele treue Wallfahrer liessen sich aber vom Wetter nicht einschüchtern. Mag das Wetter auch ein entscheidender Faktor sein, so ist er doch nicht der einzige, ganz nach dem Motto: „Eine Wallfahrt ist mehr als ein reiner Outdoorevent“.

Körperlich und seelisch aktiv dem Ziel entgegen
So versammelten sich am Samstag frühmorgens nach 02.00 Uhr unzählige Wallfahrer vor der Klosterkirche Muri, gewappnet mit regenfester Kleidung. Zwar prasselte die Feuchtigkeit noch nicht vom Himmel hernieder, doch haben Wolkenfelder dafür gesorgt, dass eine Nachtwanderung bei Mondenschein ins Reich der Träume zurückgedrängt wurde. Da und dort unterstützte man sich noch mit Sprüchen wie “Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung!“ und zog dann in Gruppen los durch die Nacht, den Rosenkranz betend. Halte an der Reussbrücke in Mühlau und bei der uns seit Jahren mit Kaffee verwöhnenden Familie Hegner in Oberwil unterbrachen das besinnliche nächtliche Schreiten auf das Tagesziel hin – die Marienwallfahrtsstätte in Einsiedeln.

In Zug angekommen, gönnten sich die meisten Wallfahrer passend zum allmählichen Erwachen des neuen Tages ein Frühstück im Restaurant Brandenberg. Anschliessend folgte ein erster Aufstieg via St. Verenakapelle auf die Höhe ob Allenwinden. Es sollte nicht der einzige sein: Vor 12.00 Uhr – so der heimliche Zeitplan der Wallfahrer – möchte man, von Oberägeri her aufsteigend, den Raten bzw. St. Jost erreicht haben.

«FFW light» als ergänzende Alternative
Im Rahmen des ausserschulischen Religionsunterrichts der Oberstufe des Seelsorgerverbands Muri-Aristau-Beinwil ‚Auf dem Weg zur Firmung 15plus‘ wurde für 2013 erstmals eine Kurzversion der FFW angedacht. Diese ergänzende, nicht konkurrenzierende Alternative zur bisherigen FFW nutzten insgesamt rund 25 Personen, darunter auch Familien. Walter Grob chauffierte sie mit einem Reisebus von Riechsteiner Carreisen auf den Raten. Dort trafen die ausgeschlafenen Wallfahrer bereits auf erste Gruppen, die via Raten nach Einsiedeln pilgerten. Ob auch die Wallfahrer, die via St. Jost nach Einsiedeln unterwegs sind, rechtzeitig um 12.00 Uhr die Zwischenetappe St. Jost erreichten? Kurz vor Erreichen der Kapelle St. Jost war für die Teilnehmenden der Kurzwallfahrt klar: Ja, die bereits längst eingelaufenen Teilnehmer der FFW haben St. Jost erreicht. Um 12.00 Uhr war das Läuten der Glocke der Kapelle St. Jost zu hören. Und damit wusste man: Martin Köchli muss St. Jost erreicht haben.

Auf St. Jost begrüssten sich die längst eingelaufenen und neu dazu gestossenen Wallfahrer. Nach einer Mittagspause gingen sie dem Nieselregen und dem dreckigen Wanderweg trotzend hinunter zum Rothenthurmer Hochmoor und von dort hoch zum Chatzenstrick, einem grossartigen Aussichtspunkt. Wenngleich die Sicht auf die Sihltaler Bergkette, das dahinter liegende Vrenelis Gärtli und den höchsten Schwyzer, den Bös Fulen (allesamt fantastische Ziele, wenngleich weniger für Wallfahrer als vielmehr für Liebhaber von T6-Wanderungen) verwehrt blieb, so zeigte sich dort zumindest das Tagesziel: das Kloster Einsiedeln. Nun hiess es, die letzten Kräfte freizusetzen, bevor das Pilgermekka Einsiedeln mit unzähligen Restaurants aufwartete.

Das Ziel ist erreicht – der Pilgergottesdienst im Kloster Einsiedeln
Punkt 16.00 Uhr begann die Pilgermesse in der fast vollbesetzten Studentenkapelle (Oratorium). Schätzungsweise 200 Wallfahrer haben ihr Tagesziel erreicht. Viele haben bereits einen 50 Kilometer langen Marsch auf sich, andere begnügten sich mit der Light-Version, und wieder andere sind vom Freiamt direkt nach Einsiedeln gefahren. Wallfahrer sind sie alle. Sieger sind sie alle. Schliesslich gehört zum Wallfahren primär das Aufbrechen hin zu einem religiösen Gnadenort, in unserem Falle Einsiedeln mit der Schwarzen Madonna.

Bei einem festlichen Gottesdienst, den Domherr Kurt Grüter zu Ehren der Gottesmutter Maria feierte, wurde gedankt, gesungen und gebeten. Die persönlichen Anliegen wie auch die Bitten all der Menschen, die ihre Anliegen in den mitgebrachten Fürbittbüchern festgehalten haben, wurden auf den Altar gelegt. In Form dreier Kerzen, die von Muri mitgetragen und während der Feier entzündet wurden, wurde drei langjähriger Teilnehmer der FFW gedacht, die im vergangenen Jahr verstorben waren.

Die FFW – kein Selbstläufer
Eine Wallfahrt ist mehr als ein sportlicher Event, auch wenn der sportliche Aspekt ein wesentlicher Bestandteil sein darf. Eine Wallfahrt ist mehr als ein Gemeinschaftsanlass, auch wenn der soziale Aspekt ein tragender Bestandteil sein soll. Eine Wallfahrt ist mehr als eine religiöse Feier, auch wenn der religiöse Aspekt ein zentrales Element ist. Eine Wallfahrt ist eine Erfahrung, bei der all diese Aspekte vereint werden – und in dieser ergreifenden Erfahrung von sportlicher Begeisterung, von tragender Gemeinschaft und von tiefer Spiritualität liegt wohl das Potential von Wallfahrten.

In diesem Sinne erfolgten am Schluss des Gottesdienstes in Einsiedeln, unmittelbar von der Heimreise mit den bereitgestellten Cars, der Dank und der Applaus. Der Dank ging nicht nur an den Zelebranten und an Pater Maurus vom Kloster Einsiedeln, der als gebürtiger Rüstenschwiler konzelebriert hat, sondern auch an den Organisator Thomas Suter und das Organisationskomitee im Bewusstsein, dass eine solche Wallfahrt eben kein Selbstläufer ist.

„Was ist nach fünf sonnigen Tagen?“ Mit diesem Rätsel und der Antwort auf dieses Rätsel (nämlich: Wochenende) hat Thomas Suter humorvoll und pointiert zusammengefasst, womit die diesjährige FFW zu kämpfen hatte: mit schlechtem Wetter. In diesem Sinne gilt der Dank und Glückwunsch auch all denen, die sich vom garstigen Wetter nicht abhalten liessen, den Siegeskranz zu erringen.