Das Fleisch von alten Kühen ist eine Delikatesse, wenn es durch sorgfältige Reifung veredelt wird. Einer, der sich darauf versteht, ist Michael Vogt mit seiner «Hinterhofmetzgerei» in Staad. Das Fleisch ist so kräftig, dass es auf keinen Fall eine Marinade braucht.
Steaks von acht, zwölf, 17 Jahre alten Kühen als kulinarische Delikatesse? Was andernorts eine lange Tradition hat, hat sich bei uns nur ganz allmählich herumgesprochen. Und dies auch nur in Kreisen von Fleischliebhabern, die nicht nur Rindfilets auf ihre Teller kommen lassen. Neue kulinarische Genüsse erleben zu können, setzt allemal eine entsprechende Neugierde voraus. Es ist nicht nur der Bauer, der nicht isst, was er nicht kennt.
Wie auch immer – im Norden Spaniens, vor allem im Baskenland, haben die Bauern schon immer auf das Fleisch betagter, fetter Milchkühe geschworen. Inzwischen hat Imanol Jaca, der sich selbst «der baskische Metzger» nennt, aus der Tradition eine europaumspannende Industrie gemacht und unter dem Label «Txogitxu» einen Hype (www.txogitxu.com). Zum Thema Fett der alten Kühe meint er: «Die Qualität eines Fleisches misst man an der Qualität seines Fettes.» Inzwischen kann man auch bei uns in gut assortierten Metzgereien Steaks und anderes von alten Kühen kaufen.
Einer, der sich leidenschaftlich alten Kühen verschrieben hat, ist Michael Vogt, den ich in seiner «Hinterhofmetzgerei» im Bodenseedorf Staad treffe. Er habe sich dabei von den Spaniern inspirieren lassen, sagt er, und sich gefragt:
«Warum können wir nicht auch
in der Schweiz aus alten Kühen Delikatessen machen?»
Dem passionierten Quereinsteiger ins Metzgerhandwerk ist dabei der Nachhaltigkeitsgedanke sehr wichtig. Einheimisch sollen die Kühe sein, deren Fleisch er veredelt. Im Schlachthof St.Gallen sucht er sich Kuhrücken aus, die seinen Qualitätsvorstellungen entsprechen – das können nur etwa zwei von hundert Tieren.
Entscheidend ist der Fettanteil beziehungsweise die Fettverteilung, insbesondere das intramuskuläre Fett. «Wenn eine Kuh schön marmoriertes Fleisch hat, dann spielt ihr Alter keine Rolle», sagt Vogt. Die älteste Kuh, deren Fleisch er veredelte, war 17-jährig.
Vogt schneidet aus dem Kuhrücken unter anderem Rib-Eye-Steaks, das Filet, das Bürgermeisterstück oder auch das Picanha beziehungsweise den Huftdeckel. Wer bei ihm einkauft, erhält immer gleich Hinweise, wie das betreffende Stück am besten zubereitet wird.
Das Steak schmeckt ausgezeichnet. Das Fleischaroma ist sehr kräftig, die Röstaromen akzentuieren es zusätzlich, die Fettanteile geben ihm eine buttrige Note. Dass die Zähne noch etwas zu tun haben, passt dazu. Wer mit dem Gedanken spielt, das Fleisch mit einer Marinade zu behandeln – gleich wieder vergessen! Auch das landesübliche Pfeffern wäre eher ein Vergehen an diesem Fleisch.
Vogt, international diplomierter Fleischsommelier, erklärt gern, was er tut und weshalb er es tut. Das ist ihm wichtig. Sein Credo: «Wirklich gutes Fleisch braucht Geduld, Zeit und Sorgfalt. Nicht nur in der Aufzucht, auch nachher bei der Reifung», heisst es auf der Website der «Hinterhofmetzgerei». Letzteres geschieht mehrheitlich durch Trockenreifung, neudeutsch Dry Aging.
Dabei hängt das Fleisch am Knochen in Reifekammern mit einer konstanten Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Nach und nach verliert es an Gewicht, gewinnt dafür aber an Geschmack. «Der Geschmack ist für mich das Qualitätskriterium Nummer eins, erst dann kommt die Zartheit des Fleisches, das durchaus noch einen gewissen Biss haben darf», sagt Vogt. In seinem Verkaufslokal steht unübersehbar eine grosse Reifekammer, die schon fast wie eine künstlerische Installation anmutet.
Vogt veredelt aber nicht nur Fleisch alter Kühe. Am Rorschacherberg, nur wenige Minuten von der «Hinterhofmetzgerei» entfernt, unterhält er auch eine eigene kleine Rinderherde. Es sind Angus-, Hereford-, Limousin- und Wagyurinder.
Die Tiere fressen ausschliesslich das, was es auf dem Hof gibt, also Gras und Heu. Und sie leben mehr als doppelt so lange wie auf einem herkömmlichen Mastbetrieb. Für Vogt ist klar: «Schön marmoriertes Fleisch entsteht nicht nur durch kalorienreiche Mast, sondern auch durch viel Auslauf, Zeit und durch das Gras und Heu, das auf dem Hof wachsen.» Schliesslich werden die Rinder auch auf dem Hof getötet, erst danach werden sie in ein Schlachthaus gebracht.
Und dann kommt das, worauf sich Vogt spezialisiert hat: die Special Cuts, die bei uns vielfach immer noch unbekannt sind. Er wendet beim Zerlegen der Tiere Schnitttechniken und -traditionen aus den USA und aus anderen Ländern an. Insgesamt kann er über zwei Dutzend verschiedener Cuts anbieten, die auf seiner Website beschrieben werden: Diese Stücke heissen dann etwa Merlotsteak, Flatiron, Hanging Tender oder Denvercut.
Rund die Hälfte des geschlachteten Tieres wird auf diese Weise zu Kurzbratstücken. Den Rest des Fleisches, ob alte Kuh oder Rind, verarbeitet Vogt zu Würsten, Hamburgern, Fleischkäse, Mostbröckli. «From nose to tail», von der Nase bis zum Schwanz soll alles verwertet werden. Wir sind das den Tieren schuldig.