Gegner und Befürworter eines vereinten Basels diskutieren auf einer abstrakten und emotionalen Ebene. Die Wege der Zukunft sind aber mit dem Kopf zu finden. Ein Plädoyer für eine realitätsgebundene Diskussion über die Fusionsfrage.
Man könnte von einer «drôle de guerre (politique)» sprechen: Die politischen Auseinandersetzungen über die Fusion der beiden Basel haben zwar begonnen, doch erst auf kleiner Flamme. Zwar ist die Initiative eingereicht worden, doch die Haltung des neu zusammengesetzten Baselbieter Regierungsrates steht noch aus. Weitere Initiativen zum Thema Partnerschaft sind angekündigt. In den Medien wird das Gespenst eines angeblichen Geheimplanes für einen Gegenvorschlag an die Wand gemalt. Einzelne Parteien haben zwar ihre Präferenzen bekannt gegeben, doch definitive Parolen werden zwangsmäss erst vor der Volksabstimmung über die Initiative gefasst.
Fusionsbefürworter sind keine Turbos
Mir scheint, die Diskussion finde bislang fast ausschliesslich auf einer grundsätzlichen und abstrakten Ebene statt. Befürworter der Fusion weisen auf den nach ihrer Ansicht unbestreitbaren Fortschritt eines vereinigten Kantons Basel hin. Sie kennen zwar die nähere Ausgestaltung dieses neuen Kantons noch nicht. Doch für sie ist es heute schon evident, dass die Vorzüge allfällige Nachteile bei Weitem überwiegen würden. Sie sind davon überzeugt, dass ein vereinigtes Basel die wesentlichen Probleme unserer Region besser zu lösen imstande sei, mehr Effizienz erziele und somit zu geringeren Kosten führe, zudem das Gewicht in Bern stärke und schlicht ein längst fälliges Gebot der Zeit sei. Man kann sie deshalb als Fusions-Optimisten bezeichnen, denn Optimisten glauben daran, dass «es schon gut kommen werde». Ich rede nicht von Turbos, denn nach meiner Erfahrung dient der «Vorwurf» des Turbos in der Regel eher einer Abwertung, ja Diffamierung der Gegenseite. Und man kann den Initianten, welche den verfassungsmässigen Weg einer Volksinitiative über 40 Jahre nach der gescheiterten Wiedervereinigung 1969 beschreiten, gewiss nicht «übereiltes Handeln» vorwerfen.
Baselbieter Volk spaltet sich in zwei Lager
Auf der anderen Seite des politischen «Fusionsspektrums» halten die Fusionsgegner das Banner der Freiheit, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Baselbiets hoch. Sie machen grundlegende Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie «dem» Städter und «dem» Landschäftler geltend, wecken Erinnerungen an frühere Freiheitskämpfe und unterstellen teilweise dem Stadtkanton Machtgelüste. Sie sind heute schon überzeugt, dass die Fusion schlecht ist, dass die Nachteile bei Weitem überwiegen. Auch sie kennen aber die Strukturen dieses neuen Kantons nicht. Sie sind einfach überzeugt, dass eine Fusion der falsche Weg darstellt. Sie können Fusions-Pessimisten genannt werden. Es ist aber falsch, sie deswegen als «Ewig-Gestrige» zu bezeichnen. Ihre Haltung beruht auf einem legitimen Glauben, auf überlieferten Annahmen, sicher auch auf vorgefassten Meinungen – wie dies auf der anderen Seite auch der Fall ist.
Diese Schwarz-Weiss-Optik droht das Baselbieter Volk in zwei Lager zu spalten. Es stellt sich deshalb die Frage, ob es nicht andere Wege gibt, um das Verhältnis zum Stadtkanton voranzubringen. Dabei empfiehlt es sich, von Realitäten auszugehen, nicht (nur) von Wunschvorstellungen oder Gefahrenszenarien. Nachfolgend soll auf sieben Realitäten hingewiesen werden.
Realität Nummer 1: Viele Einwohner und Unternehmungen unserer Region erleben die Kantonsgrenze als praktisches Problem, etwa in den Bereichen Gesundheits- und Spitalwesen (warum gibt es immer noch keine gemeinsame Spitalplanung?), Verkehr (die Tramlinie am Margarethenstich lässt grüssen), Schulen und Bildung, öffentliche Sicherheit, Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, etc. Sie kümmern sich weniger um staatsrechtliche Grundlagen, sondern um die sie betreffenden staatlichen Leistungen und Verpflichtungen in ihrer Lebens- und Geschäftswelt.
Realität Nummer 2: Eine eigentliche Unabhängigkeit des Baselbiets gibt es schon lange nicht mehr. Wir sind auf der Basis vieler Partnerschaftsverträge und gemeinsamer Einrichtungen mit Basel-Stadt sowie in geringerem Umfang mit anderen Kantonen und natürlich dem Bund eng verknüpft. Menschen in unserer Region nutzen die Kultur-, Sport- und Leistungsangebote beider Kantone, wechseln ihren Wohnsitz nach Angebot und Nachfrage, arbeiten im einen und wohnen im anderen Kanton. Es stimmt schon, dass die beiden Basel «zusammengehören». Damit ist aber über das Wie des Zusammenseins noch nichts ausgesagt.
Realität Nummer 3: Die Diskussion über Kultur- und Mentalitätsunterschiede zwischen Stadt und Land ist unfruchtbar. Natürlich gibt es Differenzen (wie in allen anderen Kantonen auch), aber sicher nicht der Kantonsgrenze entlang. Um die Stadt legt sich ein grosser Agglomerationsgürtel, der nicht einfach einem Pol zuzuordnen ist. Sind die grossen Gemeinden des Unterbaselbiets ländliche Dörfer? Ist Liestal nicht eine Stadt? Bei Lichte betrachtet wäre eher zu fragen, ob sich nicht ein Graben innerhalb des Baselbiets gebildet hat. Zudem gibt es viele kulturelle Gemeinsamkeiten, wie etwa die Fasnacht und die FCB-Begeisterung, aber auch viele Organisationen «beider Basel» in der Zivilgesellschaft. Kultur ist nie starr und festgeschrieben. Sie hat sich in den letzten 50 Jahren stark entwickelt und entwickelt sich in unserem digitalen und elektronischen Zeitalter weiter, wohl schneller als uns lieb ist. Schliesslich: Mentalitätsunterschiede begründen keine «Selbstständigkeit». Überhaupt lebt eine Kultur dank innerer Stärke, dem Überliefert- und Gelebtwerden, nicht durch Abgrenzung.
Realität Nummer 4: Der Weg zu einer Fusion ist kein Spaziergang. Er bindet und absorbiert politische Kräfte während vieler Jahre. Die Ausarbeitung einer neuen, gemeinsamen Verfassung bereitet am wenigsten Mühe, denn die beiden Basel weisen heute moderne Verfassungen auf, die sich nicht wesentlich unterscheiden. Doch wenn sich der Verfassungsrat auch der Aufgabe zuwendet, die Grundzüge der künftigen Gesetzgebung zu entwerfen, dann kommt er «in Teufels Küche». Denn dort beginnen die heiklen Angleichungen, etwa beim Verhältnis von Kanton und Gemeinden, bei den Steuerordnungen, dem Planungs- und Bauwesen, dem Kirchenrecht, etc. Unterlässt er dies vor der Grundsatzabstimmung über die Verfassung des neuen Kantons, so wird der Vorwurf laut, man kaufe doch keine Katze im Sack. Legt er aber Grundzüge vor, so wird die Auseinandersetzung über die Fusion – zumindest auch – zu einer Debatte über die Frage, ob das Baselbiet nun im vereinigten Kanton besser oder schlechter «fahre». Konkret etwa, ob bei uns mehr Steuern zu bezahlen wären als vorher.
Realität Nummer 5 schliesst an die obigen Ausführungen an. Das Volk hat zunächst «nur» darüber zu entscheiden, ob der Fusionsprozess in Gang gesetzt werden soll oder nicht. Wer heute schon weiss, dass die Fusion nicht infrage kommt, wird ohne Bedenken Nein stimmen. Wer an die Fusion glaubt oder aber den Weg zur Vorbereitung der Grundlagen für eine Fusion einmal beschreiten möchte, stimmt Ja. Diese Ausgangslage hat den Vorteil, dass der Initiative auch zustimmen kann, wer von der Fusion noch nicht definitiv überzeugt ist, aber den Prozess einleiten möchte, um das Modell eines vereinigten Kantons mit seinen Chancen und Risiken beurteilen zu können. Er kann ja die konkrete Vorlage immer noch ablehnen, wenn das Ergebnis nicht überzeugt. Mit anderen Worten: Ein Ja zur Fusionsinitiative ist noch kein Ja zur Fusion selbst. Da liegt aber auch ein nicht zu vernachlässigendes Problem. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die grosse, mehrjährige Arbeit eines Verfassungsrates dereinst für die Katze gewesen sein könnte, wie es beim letzten Versuch der Wiedervereinigung in den sechziger Jahre der Fall war.
Realität Nummer 6: Der Fusionsprozess löst die Aufgabe nicht, wie eine reale Verbesserung, der die Menschen dieser Region betreffenden Probleme in den nächsten Jahren erreicht werden kann, wie ich sie vorhin selektiv aufgezählt habe.
Entweder kommt der vereinigte Kanton in sechs bis zehn Jahren, oder aber wir stehen immer noch auf Feld eins. Es wäre meines Erachtens eine Illusion zu meinen, die Partnerschaft mit Basel-Stadt würde parallel zur Arbeit des Verfassungsrates in separaten Verhandlungen effektiv und schrittweise ausgebaut. Auch neue Partnerschaftsinitiativen in Baselland, die sich darauf beschränken, einseitig die heute schon bestehenden Partnerschaftsartikel in der Baselbieter Verfassung zu modifizieren, sind wenig hilfreich.
Realität Nummer 7: Falls solche Partnerschaftsinitiativen eingereicht werden, wie dies angekündigt worden ist, so ist kritisch zu fragen, ob die Initianten und weitere politische Kreise auch bereit sein werden, den Motor der Partnerschaft anzukurbeln und nach gemeinsamen Lösungen mit Basel-Stadt, gerade in den erwähnten Bereichen, zu suchen. Bislang war von einem politischen Willen für einen substanziellen Ausbau der Partnerschaft im Baselbiet wenig zu verspüren. Denn ein wirkungsvoller Ausbau der Partnerschaft bringt auch neue Bindungen und Verpflichtungen mit sich. Er ist ohne Einschränkungen der Autonomie und gewissen Einbussen bei der parlamentarischen Gestaltungsfreiheit nicht zu haben. Man kann, auch hier, den Pelz nicht waschen, ohne ihn nass zu machen.
Es gibt keinen Königsweg
Fazit: Regierungsrat und Landrat tun gut daran, auszuloten, wie das weitere Vorgehen gestaltet werden kann, damit die realen Bedürfnisse der betroffenen Menschen in unserer Region befriedigt werden können. Es gibt keinen Königsweg. Alle Alternativen und Varianten weisen Vor- und Nachteile, Chancen und Risiken auf, die jenseits einer pathetischen Rhetorik nüchtern abzuwägen sind. Das ist kein Plädoyer gegen Emotionen, die eine Demokratie immer (auch) prägen. Doch Wege in die Zukunft sind in erster Linie mit dem Kopf zu finden. Es ist aber ein Plädoyer für einen sachgebundenen und fairen Dialog, in dem Bürgerinnen und Bürger mit anderer Ansicht ernst genommen und nicht disqualifiziert werden.
Welches ist der richtige Weg? Ein blosses Nein zur Initiative mit dem Risiko, dass der weitere Weg mit Basel-Stadt blockiert ist? Ein Ja in der Hoffnung, dass die Fusion schlussendlich zustande kommt? Es dürfte sich lohnen, die Idee eines Gegenvorschlages, der sich dem realen Ausbau der Partnerschaft gemeinsam mit Basel-Stadt widmet und aus dem Dilemma eines «alles oder nichts» hinausführt, näher zu prüfen. Ihm vorschnell vorzuwerfen, er führe zu einer Konfusion, wäre kurzsichtig und liegt nicht im Interesse des Baselbiets. Demokratisches Ziel könnte es sein, Wege zu finden, damit sich das Volk an der Urne nicht nur zur Fusion, sondern auch zu einem substanziellen Ausbau der Partnerschaft äussern kann.
In der schweizerischen Demokratie muss es immer auch darum gehen, möglichst breit abgestützte Lösungen zu finden, die eher integrierend als spaltend wirken. Den Initianten kommt sicher das Verdienst zu, dass sie einen wichtigen Prozess in Gang gesetzt haben. Könnte im realen Ausbau der Partnerschaft zusammen mit Basel-Stadt nicht der Nukleus einer Aufbruchsstimmung im Baselbiet liegen, welche von vielen Anhängern und Gegnern der Fusion mitgetragen wird?